Tom Thorne 04 - Blutzeichen
mit dem Gebrüll auf sich hatte, eignete sich als Ausguck hervorragend. Der Besitzer wuselte bestens gelaunt herum und servierte seinen Kunden, die im Freien sitzen und gaffen wollten, Kaffee und Gebäck.
Holland zog ein Päckchen mit zehn Silk Cut heraus. Er schnorrte sich Feuer von einer Frau, die mit einem Buggy vorbeikam.
»Wie lange läuft das schon?«, fragte Thorne und nickte Richtung Zigarette. Er hatte schon vor langer Zeit aufgehört zu rauchen und wäre dennoch jederzeit bereit gewesen, für eine Zigarette zu morden.
»Seit das Baby da ist. Ich hatte die Wahl zwischen Zigaretten oder Heroin.«
»Dann bist du ja richtig hier …«
Nördlich des Finsbury Park querte die Green Lanes ein Gitter von parallel verlaufenden Straßen, die so genannte Harringey Ladder. Ein Blick auf das geschäftige Treiben in den Läden genügte, um zu erkennen, was dieses Viertel auszeichnete: Es war eine der lebendigsten Gegenden Londons und sicherlich die ethnisch gemischteste. Was natürlich das Polizeiaufgebot in den Straßen erklärte. In einer wilden Schießerei waren vor sechs Monaten in ebendiesen Straßen drei Männer ums Leben gekommen. Dabei hatte sich das andere Gesicht dieses Viertels nur allzu deutlich gezeigt. Harringey war der Sammelpunkt einer ganzen Reihe von Gangs, die in der türkischen Gemeinde ihre Geschäfte betrieben. Nach den Zahlen des National Criminal Intelligence Service kontrollierten sie über drei Viertel der siebzig Tonnen Heroin, die jährlich in London umgeschlagen wurden. Und sie verteidigten ihre Geschäfte mit Zähnen und Klauen.
»Glaubt Tughan, das hat mit H zu tun?«
Holland hatte nicht zugehört. »Entschuldigung …?«
Thorne deutete auf den Laden. »Die Izzigils. Hält unser Mafiaexperte da drinnen das hier für einen Bandenkrieg?«
»Seiner Ansicht nach stecken die Ryans dahinter.«
»Hm?«
»Anscheinend hält er das für eine Nachricht von Billy Ryan an die Leute, die seine Jungs umlegen. Eine Kriegserklärung, vermutet er.«
»Wie kommt er auf die Idee? Hat er irgendeinen Anhaltspunkt dafür?«
»Keine Ahnung. Er wirkt allerdings ziemlich überzeugt.«
Thorne schloss die Augen, als Rauch von Hollands Zigarette an seiner Nase vorbeizog. »In gewisser Weise macht es allerdings Sinn.«
»Was?«
»Es stand immer fest, dass die Ryans eher rausfinden als wir, wer hinter ihnen her ist.«
Zwei Beamte trugen Leichensäcke zur Tür. Anscheinend war Hendricks mit seiner ersten vorläufigen Untersuchung fertig. Thorne folgte den Beamten hinein in den Laden und flüsterte im Vorbeigehen Holland zu: »Hendricks wohnt doch bei mir … Machen sich eigentlich welche darüber lustig?«
Holland zog gerade genüsslich an seiner Zigarette. Er musste so sehr lachen, dass er husten musste.
Thorne hatte die letzten drei Jahre im Peel Centre in Hendon gearbeitet. Je besser er es kannte – und vor allem Becke House kannte –, desto mehr widerte es ihn an. In dem Gebäude, einem graubraunen, dreistöckigen Klotz in einer ohnehin schon tristen Gegend – waren früher die Polizeischülerschlafsäle untergebracht gewesen. Die Betten waren Großraumeinsatzzentralen und aneinander gereihten Bürokabuffs gewichen, aber es waren noch immer genug junge Gesichter hier unterwegs, da sich die Polizeischule der Metropolitan nur in einem anderen Gebäude auf demselben Gelände befand.
Thorne hatte nicht aufgehört, sich darüber zu wundern, dass die Serious Crime Group genau hier untergebracht war, Rücken an Rücken mit einer Polizeischule. Vor etwa einem Jahr, erinnerte er sich, sperrte er eines Abends seinen Wagen ab und stieß, als er sich umwandte, gegen einen Polizeischüler in Uniform. Er hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, einer alten Frau zu erklären, warum ihr Schwiegersohn mit einer Axt über ihre Tochter und ihre Enkelkinder hergefallen war. Der Ausdruck in Thornes Gesicht damals hatte den Polizeischüler erstarren lassen. Die fröhliche Begrüßung war ihm im Hals stecken geblieben, und das Blut war ihm aus den Adern gewichen …
Die Besprechung fand in dem Büro statt, das sich Russell Brigstocke, wenn auch nur widerwillig, mit Nick Tughan teilte. Das SO7 Projects Team logierte in Barkingside in einem der Bürocontainer, wo Tughan und sein Team noch immer viel Zeit verbrachten. Doch seit Beginn der gemeinsamen Operation hatte im dritten Stockwerk des Becke House so etwas wie ein Umbruch stattgefunden. Holland und DC Stone teilten sich ihr Büro jetzt mit zwei Detective
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