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Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes

Titel: Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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gewesen war, an dem Vormittag, an dem er sich mit Holland an der Speaker’s Corner getroffen hatte, hatte eine alte Frau vor einem der Ausgänge gesessen und Tauben gefüttert. Thorne hatte sie nicht sofort wahrgenommen hinter dem Vorhang aus flatternden Flügeln, einer changierenden Masse aus feuchten, graubraunen Blautönen, die sie umgab. Die Vögel begruben die schmale Gestalt unter sich, liefen über ihren Schoß, saßen auf ihrem Kopf und ihren Schultern. Sie schwärmten in Massen um ihre Beine und hockten auf jedem freien Zentimeter der Bank und des Einkaufswagens neben ihr. Ein beängstigender Anblick, als würde die Frau attackiert. Doch als Thorne an ihr vorbeiging, sah er, dass sie vollkommen zufrieden war. Sie lächelte, eine Zigarette im Mundwinkel, und redete munter auf die Tauben ein, die sich um sie scharten und ihr die Krumen aus der Hand fraßen. Thorne war langsamer gegangen, um zu hören, was sie sagte. Aber es ging unter in dem Lärm der Fressorgie.
    Als er jetzt zu dem U-Bahn-Eingang lief, war als Beweis für die Anwesenheit der Frau nur ein schwarzweiß gesprenkelter Taubendreckteppich um die Bank zu sehen. Sollte sie je verschwinden, müsste man die Putzbrigaden der Stadt zu den Hauptverdächtigen zählen …
    Schon nach den ersten Stufen änderte sich der Geräuschpegel. Der Verkehrslärm von oben wurde zu einem Brummen; einem leisen Dröhnen, das nur von einem Hupen oder einer Notfallsirene unterbrochen wurde. Als Thorne im Untergrund ankam, war er von oben kaum noch auszumachen, dafür war es in der nächsten Umgebung umso lauter. Ein normales Husten oder eine leere Dose, die durch die Gegend gekickt wurde, hörten sich plötzlich unheimlich an. Zwischen einem Geräusch und dem Echo, das von dem Wind, der in diesen Betonkorridoren eher grollte als pfiff, zurückgetragen wurde, verstrich eine halbe Sekunde.
    Die Tunnel waren etwa zweieinhalb Meter breit und ebenso hoch. Früher mochten diese geraden Gänge mit den in Meterabständen an der Wand montierten Lampen futuristisch gewirkt haben, jetzt nervte der Anblick nur noch. Es stank nach Urin und etwas ekelhaft Süßem, das Thorne nicht einordnen konnte. Überall schien Gefahr zu lauern.
    Die Fliesen an einem Teil der Wände und die komplizierten, abblätternden Mosaike an den anderen bildeten einen starken Kontrast zu den graffitibedeckten Metalltüren, dahinter befanden sich wahrscheinlich Installationen. An der Decke waren kleine Metalllautsprecher montiert, sicher für die Durchsagen der Verkehrsbetriebe. Irgendwie fiel es hier leicht, sich eine Roboterstimme vorzustellen, die die Überlebenden eines Atomanschlags mit Informationen versorgte.
    Als Thorne tiefer in das Tunnellabyrinth vordrang, kamen ihm ein, zwei Leute entgegen. Sie trugen Rucksäcke oder Schlafsäcke, und einige hatten große, zusammengefaltete Pappkartons unter dem Arm. In jedem Gang schlief bereits irgendwer, zumindest nahm Thorne das an. Es ließ sich schwer sagen, da einige dieser Kartons – dieser Pappsärge, die bis zu drei Meter lang waren – auch leer hätten sein können. Aber Thorne war sich ziemlich sicher, dass sie bewohnt waren. Ob wohl die Alte mit den Tauben hier unten war? Er stellte sich vor, wie sie unter einer Decke aus dreckigen Federn auf die Dämmerung wartete, auf das Geräusch von scharrenden Krallen und Flügelschlägen.
    Was sie wohl dabei empfand, wieder gebraucht zu werden …
    Thorne kam an eine Weggabelung und warf einen Blick in beide Richtungen. Auf der rechten Seite sah er in der Ferne zwei Gestalten an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzen. Spike und Caroline. Spike stand auf und gab einen Pfiff von sich. Thorne winkte und ging auf die beiden zu.
    Auf halbem Wege kam er an einem komplizierten Schachtelarrangement vorbei: Zwei Kartons waren aufeinander getürmt, und ein dritter stieß im rechten Winkel dazu. Ein Schwarzer mittleren Alters saß in der Nähe, der stolze Besitzer dieser einzigartigen Schlafgelegenheit. Er hatte einen sackartigen grauen Hut auf, der perfekt mit seinem Bart und seiner Hautfarbe harmonierte. Als Thorne an ihm vorbeiging, blickte er von seinem Taschenbuch auf und richtete einen kalten Blick auf ihn. Thorne hielt dem Blick lange genug stand, um klarzumachen, dass er wusste, was er tat, und lief weiter.
    Bei Spike und Caroline angekommen, setzte er sich. Er deutete über seine Schulter nach hinten auf den Mann, der ihn, wie er vermutete, noch immer anstarrte. »Wacht euer Nachbar über euch?«
    »Ollie ist

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