Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
»Die würden seltsam schmecken.« Er hielt die Flamme direkt unter den Löffel und deutete mit einem Kopfnicken auf die Zitrone in Thornes Hand. »Da ist kein Scheißzitronensaft drin.«
»Wer mich anmacht, dem spritz ich das Zeug ins Gesicht«, sagte Caroline.
Thorne schraubte den Deckel ab, um daran zu riechen. Er drehte den Kopf abrupt weg, als ihm der stechende Geruch des Ammoniaks entgegenschlug.
Spike lachte. »Ich hab meine Waffe, sie ihre …«
Dann stieg Thorne ein anderer Duft in die Nase: der sirupartige Geruch des Heroins, das auf dem Löffel Blasen zu werfen begann. Darunter war der Essig auszumachen, leicht zwar, aber dennoch beißend. Das war also der Geruch, der ihm auf dem Weg hierher aufgefallen war. Er hielt den Atem an …
Caroline griff nach der Nadel. Sie riss sie aus der Plastikhülle und steckte sie, nachdem sie die orange Kappe abgezogen hatte, auf die Spritze.
»So, das wär’s«, sagte Spike.
Auf dem Geschirrtuch lag ein Haufen verschieden großer Zigarettenfilter. Caroline nahm sich eines der weichen braunen Stücke und schnitt mit dem Messer eine dünne Scheibe davon herunter, die sie in die Flüssigkeit warf. Thorne erinnerte das Ding an einen dieser unessbaren, rätselhaften Schnitze, wie man sie in scharfen Thaisuppen findet …
Während Spike den Löffel gerade hielt, legte Caroline die Nadelspitze auf dem Filter auf und zog die Flüssigkeit durch in die Nadel. Einen Teil davon spritzte sie wieder zurück in den Löffel, damit für Spike genug übrig blieb.
»Mensch, Caz, jetzt leg einen Zahn zu …«
»Ist nur zu deinem Wohl, du sollst schließlich auch deinen Anteil kriegen.« Sie nahm den Löffel und legte ihn auf den Boden, wo er sicher war. Der Griff war so gebogen, dass der vordere Teil flach auf dem Beton auflag.
Spike hatte sich bereits den Ärmel seines verblichenen roten Kapuzenpullis nach oben gekrempelt. Als ihm Caroline die Nadel in die Haut stach, machte er eine Faust.
Spike stöhnte, als Caroline das Blut in die Spritze zog. Als sich das Rot mit dem Braun vermischte, wie Wachs in einer Lavalampe. Als sie auf den Stempel drückte.
»Rein damit … rein mit dem Zeug …«
Zwei-, dreimal zog sie das Blut hoch in die Spritze und drückte es zurück in die Vene. Beim dritten Mal nickte Spike. Mit jedem Nicken sank sein Kopf tiefer. Er hob ihn langsam, ein letztes Mal, lächelte Thorne zu und strahlte Caroline an wie ein Baby. »Zeit, ins Bett zu gehen, sagte Zebulon …«
Caroline war bereits dabei, die Spritze sauber zu machen. Sie sog Wasser aus der Flasche hoch und spritzte es auf den Boden. Sie lehnte sich zu Spike hinüber und küsste ihn, bevor sie ihm einen Schubs gab. »Ab in die Schachtel, du dummer Kerl …«
Halb fiel, halb kroch Spike in den Karton, bis Thorne nur noch die Sohlen seiner Turnschuhe ausmachen konnte. Nach ein paar Sekunden hörten sie auf, sich zu bewegen. Dann sah Thorne Caroline dabei zu, wie sie die Spritze noch einmal drückte. Sie fluchte und erklärte, das Ding wackle. Sie kramte in ihrer Tütchensammlung nach einem Butterdöschen. Die Butter schmierte sie um den Stempel. Ihre Bewegungen waren geübt und präzis, und wenn sie sprach, kappte sie die Wortenden, als brannten sie ihr auf den Lippen.
»Habt ihr nicht Schiss, wenn ihr gebrauchte Spritzen benutzt?«, fragte Thorne.
Sie zuckte die Achseln. »Sind nur er und ich …«
»Aber Spritzen sind doch leicht zu besorgen.« Er deutete auf das Geschirrtuch. »Du hast jede Menge neue.«
»Denkt doch eh jeder, wir haben alle Aids, oder?«
Thorne streckte die Beine aus und öffnete den Mund. Doch bevor er etwas sagen konnte, brüllte sie ihn an, er solle gefälligst aufpassen, und rückte rasch zur Seite, damit er nicht an den Löffel stieß und etwas von der wertvollen Flüssigkeit verschüttet wurde.
»Wer ist Robbie?«, fragte Thorne.
Sie tauchte die Spritze in den Löffel, legte die Nadel auf den Filter und zog den Rest des Heroins in die Spritze. »Mein Kind. Aus der Zeit vor Spike. Er ist jetzt zehn.« Sie hielt die Spritze ans Licht. »Ich hab ihn verloren.«
Sie schob eine Socke nach unten und bewegte den Fuß. »Entschuldige …«
Sie sah kurz auf. »Verstehst du, was ich vorhin mit Glück gemeint hab?« Das Lächeln, das kurz über ihr Gesicht huschte, tat weh. »Gut, mein Glück war vielleicht beschissen, aber wenigstens hat es Robbie einigermaßen gut getroffen. Er hat schließlich Glück gehabt, dass er mir weggenommen wurde, nicht?«
Thorne fiel nichts
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