Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
der etwas von der Hauptstraße zurückgesetzt war.
»Da oben«, sagte er.
Ein, zwei Minuten starrten sie auf die grünen Türen hinüber, auf die braunen Balkone und die bunte Wäsche, die dort flatterte. »Ist es dir lieber, wenn ich hier warte?«, fragte Thorne.
»Wenn du worauf wartest?«
Thorne verlor allmählich die Geduld mit Spikes Blödstellerei, mit den Drogen und der Gier nach mehr Drogen. Am liebsten hätte er ihn gepackt und geschüttelt und ihm gesagt, er solle doch hinaufgehen zur Wohnung seines Dealers und etwas tun. Caroline rausholen oder alles zu Kleinholz schlagen oder vor dem erbärmlichen Scheißkerl auf die Knie sinken, der seine Freundin vögelte, nur damit sie ein bisschen länger high sein konnten. Irgendetwas …
»Ich weiß nicht«, sagte er.
Spike lehnte sich an eine Parkuhr. Er atmete laut, pfeifend und unregelmäßig. »Du könntest mit raufkommen, auf der Treppe warten oder so.«
»Dann komm schon …«
Sie schleppten sich über die Straße wie zwei alte Männer. Spike brabbelte vor sich hin und spuckte auf einen Astra, dessen Fahrer aus Wut darüber, dass er hatte bremsen müssen, gehupt hatte. Auf einem von Löwenzahn und Hundescheiße übersäten kleinen Platz vor dem Block starrte ein Kid auf einem Skateboard zu Spike herüber, als hätte es ihn schon mal gesehen, und Spike erwiderte den Blick.
Als sie in den kühlen, stechenden Gestank des Treppenhauses traten, blickte Thorne sich um. Der Junge stieß sein Brett weg und zog ein Handy heraus.
»Es ist immer praktisch, wenn man weiß, wer kommt«, sagte Spike. »Das kleine Arschloch kriegt genug Kohle, um sich seine Fußballsticker kaufen zu können.« Er klatschte gegen den abgeblätterten Handlauf, als er Thorne in den obersten Stock führte. »Hat doch jeder seine Sucht …«
Auf der Treppe versuchte Spike sich zu sammeln. Thorne sah ihm zu, wie er in Zeitlupe linkisch an seinen Haaren herummachte und stehen blieb, um sich die Schnürsenkel seiner Turnschuhe zu binden. Er zog seine Jacke gerade und steckte sich das T-Shirt in die Hose. Als sie oben ankamen, fragte Thorne sich, wem diese Anstrengungen galten.
Zwanzig Meter entfernt ging die zweit- oder drittletzte Tür am Gang auf. Ein Mann kam heraus: um die dreißig, untersetzt, dunkle Haare und Dreitagebart. Er trug Sandalen und eine graue, zerknitterte Hose, darüber ein Poloshirt.
Spike blieb stehen und winkte. Der Mann in der Tür reckte das Kinn hoch.
»Das ist Mickey«, sagte Spike. »Er kommt aus Malta, deshalb hat er auch braune Eier …«
Thorne sah, wie Mickey einen Schritt vortrat, um einen Blick über den Balkon zu werfen.
Grinsend warf Spike sich ins Zeug und wiederholte seinen Witz laut genug für den Mann an der Tür. »Er ist ein Malteser und hat braune Eier.« Er sah sich um und winkte ihm noch einmal zu.
Mickey schmunzelte. »Verdammt riesige braune Eier …«
Plötzlich ließ Spike Thorne stehen. Er ging langsam rückwärts zu Mickey. Dabei nickte er Thorne ein-, zweimal zu. »Ist okay, Kollege. Alles in Ordnung.«
»Will dein Freund was?«, fragte Mickey.
»Nein, der ist cool«, rief Spike.
Thorne war sich nicht sicher, ob der Dealer die Drogen oder Ärger meinte. Was immer gewünscht war, er schien jedenfalls mit beidem gerne zur Hand zu sein.
»Nein, echt, ist schon gut«, sagte Spike.
Er drehte sich langsam um sich selbst und verstellte Thorne die Sicht, als eine zweite Gestalt in dem grünen Türrahmen auftauchte. Thorne trat zur Seite, um einen bes seren Blick zu haben. Um Carolines Augen zu sehen.
Sie schien sich zu freuen, ihn zu sehen. Soweit sich tote Augen freuen können. Sie zog Mickey am Hemd und deutete auf ihn. »Der verprügelt gern Bullen.«
Der Dealer schmunzelte. Er strich dem Mädchen mit dem Handrücken über den Arm. »Gefällt mir. Wenn er will, lad ich ihn auf einen Schuss ein.«
»Ehrlich, du kannst gehen«, sagte Spike. In seiner Stimme begann sich Verzweiflung bemerkbar zu machen, als sei ihm Thornes Anwesenheit peinlich. »Uns geht’s gut. Stimmt’s, Caz?«
Caroline strich sich durch die Haare und ging zurück in die Wohnung, als habe sie etwas vergessen. Spike stand neben Mickey, der Dealer drückte seine Faust gegen Spikes Faust und trat durch den Türrahmen.
»Bis später, im Lift, ja?«, rief Thorne.
Spike zupfte an dem Heftpflaster, riss sich den schmutzigen Verband vom Hals und schnippte ihn über den Balkon. Als er Mickey in die Wohnung folgte, streckte er, ohne sich umzudrehen, den Daumen in die
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