Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Aber die Medikamente dröhnten ihn nur zu, er war fast katatonisch. Dabei waren die Stimmen noch immer da, wurden dringlicher. Krakeelten, während er, angewiesen auf das Wohlwollen der Gemeinschaft, in das soziale Netz knallte. Ohne aufgefangen zu werden.
Erst auf der Straße entdeckte er das Radio. Auf sich gestellt fand er heraus, wie er es auf die Stimmen einstellen konnte, um sie deutlicher zu hören. Er lernte auch, die Stimmen leiser zu stellen, wenn er eine Pause brauchte. Und vor allem fand er heraus, wie er zu ihnen sprechen konnte. Das Radio abschalten kam nicht infrage. Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er es nicht gekonnt. Er schaffte es gerade noch, es für ein paar Minuten zur Seite zu stellen. Aber das tat er nur ungern, denn er hatte Angst, die Durchsagen zu verpassen, auf die er die ganze Zeit wartete: die Nachricht, er könne seinen Job wiederhaben; die Nachricht von seiner Frau, sie verstehe ihn jetzt und sie komme zurück zu ihm; eine Nachricht von seiner Tochter …
Robert ging langsam an den edlen Designermöbel- und Designerklamottengeschäften in Long Acre vorbei. Hörte zu und redete und lachte zwischendurch.
Es ging ihm gut, trotz allem. Natürlich war die Situation beschissen, und gesundheitlich lief es auch nicht besonders. Die Verdauung war im Eimer, und die Geschwüre an den Beinen waren manchmal richtig übel. Aber er hatte sein Radio. Radio Bob ging es so gut, wie es eben möglich war, seitdem er den kleinen, flüssigen Lichtschein in dem Abfluss zwinkern sah.
»Es gibt drei grundlegende Arten zu betteln«, erklärte Spike. »Ein paar Möglichkeiten sind ziemlich eigenartig, ein paar sehr speziell, aber unterm Strich läuft’s auf drei Hauptarten hinaus. Ich rede nicht davon, an die Kohle ranzukommen – dafür gibt’s x Möglichkeiten. Ich rede davon, Leute anzuhauen, kapiert?
Da wäre die einfache Ich-bin-hungrig-und-habe-kein-Dach-überm-Kopf-Nummer, die ich meistens abziehe und die wir jetzt grad abziehen. Die ist okay, wenn du gerade nicht so gut drauf bist, weil du nur rumhocken musst oder pennen kannst, und die Leute werfen dir trotzdem ein paar Münzen hin. Du musst nur erbärmlich genug rüberkommen. Also die Mitleidsnummer, kapiert?
Dann gibt’s die Nervnummer. Da brauchst du ein bisschen Fantasie. Entweder du verfolgst Leute, wenn sie eine Straße entlanghampeln, die ihnen asozial oder weiß der Geier was vorkommt. Oder du machst es wie Caroline. Die klaut sich manchmal ’ne Fahrkarte und läuft mit einem Becher durch die U-Bahn-Waggons. Hält dabei so ’ne Art Rede. Das machst du in der Hoffnung, dass jemand dir Kohle gibt oder etwas lockermacht, um dich loszuwerden. So oder so, kann ziemlich was einbringen.
Und dann gibt’s noch die ganz direkte Methode. Ohne das ganze Brimborium von wegen ›Ich brauche Geld für ein Bett in einem Wohnheim« oder »Bitte verhelfen Sie mir zu einer warmen Mahlzeit«. Du blickst den Leuten direkt in die Augen und fragst sie, ob sie etwas Kleingeld haben, weil dir einfach verdammt nach einem Bier ist. Manchen Leuten ist das lieber …«
Thorne dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass diese Methode bei ihm am besten ziehen würde. Allerdings reagierte er meistens, wenn er angebettelt wurde, wie die meisten Leute: Er sah weg, brummte irgendeinen Blödsinn oder gab vor, nichts gehört zu haben. Auf diese Weise hatte er bestimmt schon mehr als genug Penner in der U-Bahn abgefertigt.
»Okay, danke«, sagte Thorne. »Ich werd’s mir merken.«
Sie saßen gegen die Mauer gelehnt innerhalb des U-Bahn-Eingangs an der Tottenham Court Road. Auf dem Schild vor ihnen stand mit Kreide geschrieben: »Bitte um Hilfe!«, und in der kleinen Plastikschüssel davor lag eine Hand voll Münzen. »Erzähl mir noch was über die anderen Methoden, du hast gesagt, es gibt x Möglichkeiten, an Kohle ranzukommen …«
Spike lehnte den Kopf an die Mauer. Hinter ihm befand sich ein beleuchtetes Poster für den neuesten Brad-Pitt-Film. »Ja, klar. Ein Auftritt, Big Issue, die Obdachlosenzeitung verkaufen, was auch immer …«
Ein Auftritt kam nicht infrage, aber Thorne hatte schon darüber nachgedacht, Big Issue zu verkaufen. Wie viele der Verkäufer wohl auf der Straße schliefen?
»Muss man sich dazu nicht irgendwo anmelden? Einen Ausweis besorgen oder so was?«
Spike schüttelte den Kopf und beugte sich vor. Er rückte das Pappschild zurecht, das bereits an den Kanten durchgeweicht war. Draußen schüttete es, und um sie herum
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