Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes

wurde der Boden immer nasser, da die Pendler den Regen von der Straße hereinbrachten.
    »Schau mal, Big Issue verkaufen und Big Issue verkaufen ist nicht dasselbe. Es gibt Leute, die besorgen sich eine einzige Ausgabe und verkaufen diese wieder und wieder. Man behauptet einfach, das wäre die letzte, die man hat, und die meisten bringen es nicht übers Herz, sie zu nehmen. Ein Supertrick.«
    »Vielleicht probier ich das.« Thorne sah auf. Eine junge Schwarze kam die Stufen herunter auf sie zu. Sie blickte rasch zur Seite und hielt sich nahe an der Mauer, als sie an ihnen vorbei zur nächsten Treppe lief.
    »Oder du besorgst dir gebrauchte Travelcards und verkaufst sie weiter. Hab ich ziemlich viel gemacht, lief prima. Aber jetzt gehen sie richtig scharf dagegen vor.«
    »Okay … »
    »O Scheiße.«
    Thorne folgte Spikes Blick und sah einen fetten, dunkelhaarigen Typen die Treppe herunter auf sie zukommen. Er trug einen grauen Kapuzenpulli und eine schwarze Baggyhose, aber die Art und Weise, wie er die Klamotten trug, verriet schneller als jede Polizeimarke, dass er ein Bulle war.
    »Alles in Ordnung, Spike?«, fragte er.
    »Bis vor kurzem, ja.«
    »Jetzt mach mal halblang.« Der Polizist streckte die Arme aus. »Ihr seid zu zweit. Also behindert ihr den Verkehr hier. Jemand könnte sich verletzen.«
    »Ja, ja«, sagte Spike.
    »Wo steckt denn heute deine Freundin?«
    Spike ignorierte die Frage. Er deutete den Gang hinunter zu den Bahnsteigen, von wo die ganze Zeit über eine nicht ganz so treffsichere Stimme mit Gitarrenbegleitung zu hören war. »Warum machen Sie nicht zur Abwechslung mal was Sinnvolles und kümmern sich um das Arschloch, das da unten ›Wonderwall‹ malträtiert?«
    »Mal sehen, was ich tun kann.« Er wandte sich um, sah nach unten und kauerte sich neben Thorne. »Ich bin Sergeant Dan Britton von der Obdachloseneinheit Charing Cross. Sie sind neu, oder?«
    Keine Polizeimarke wurde präsentiert. Schien einer von den Bullen zu sein, nach deren Meinung man sich nicht bei jedem offiziell vorzustellen brauchte. Das und die Kinderfernsehmoderatoren-Ich-erklär-euch-die-Welt-Masche machten ihn nicht gerade zu einem einnehmenden Wesen, andererseits war das nicht wirklich wichtig. Intuitiv, wenn auch irrational hatte er Britton als Wichser eingestuft, bevor dieser auch nur den Mund aufmachte.
    »So gut wie neu«, sagte Thorne.
    »Falls Sie ein Problem haben, gehen Sie einfach runter zur Wache und fragen Sie nach der Obdachloseneinheit.«
    Thorne fiel ein, was ihm Lawrence Healey gesagt hatte. Es herrschte anscheinend kein Mangel an hilfsbereiten Menschen.
    »Könnten Sie was gegen den Heroinpreis machen?«, sagte Spike. »Es ist dermaßen teuer …«
    Britton schenkte ihm keine Beachtung und unterhielt sich weiter mit Thorne. »Probleme?«
    »Genau«, sagte Thorne.
    Die Augen auf den Boden geheftet, hob Spike langsam die Hand, wie ein rebellischer Schüler, der eine Frage stellen möchte. »Es gibt tatsächlich etwas, das ziemlich nervt …«
    Thorne entnahm dem boshaften Unterton, was kommen würde, aber Britton biss an.
    »Was?«
    »Da ist dieser Typ. Der schleicht hier rum und murkst Leute wie mich ab. Ich dachte, vielleicht könnten Sie sich um den kümmern. Tut mir Leid, wenn ich Sie nerve Britton machte wenig Hehl aus seiner Verärgerung. Er stand auf und stieß Spike mit seinem abgetretenen Turnschuh gegen das ausgestreckte Bein. »Los, komm schon, hier ist viel los, und die Leute fallen über euch drüber.«
    Spike rappelte sich langsam hoch, und Thorne tat es ihm nach.
    »Keine Sorge«, sagte Thorne. »Aus irgendeinem Grund geben sich die Leute jede Menge Mühe, einen möglichst großen Bogen um uns zu schlagen.«
     
    Sie liefen etwa eine halbe Stunde mehr oder weniger schweigend durch die Dämmerung die Oxford Street hinunter. Sie trafen ein paar bekannte Gesichter, winkten Radio Bob zu, der sich neben einer Imbissbude lebhaft mit sich selbst unterhielt. Als sie vor einem Mediamarkt herumhingen, nahm Spike ihre Unterhaltung von vorhin unvermittelt wieder auf, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
    »Betteln ist ganz schön schwierig geworden …«
    Thorne kannte das von seinem Vater, als sich dessen Alzheimer-Erkrankung bemerkbar gemacht hatte. Natürlich vorkommende chemische Stoffe waren genauso wirkungsvoll wie die, für die Menschen stahlen, mordeten und sich verkauften. »Ja?«
    »Wenn du nur dasitzt und die Hand aufhältst, wirst du weggeschickt. Und wenn du einen Zahn zulegst,