Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
monatelang gesponnen und war durch einen billigen Wasserkessel ersetzt worden.
Während Holland darauf wartete, dass das Wasser kochte, dachte er über seine Reaktion auf Stones pikante Geschichten nach. Entweder gingen sie ihm ungemein gegen den Strich, oder sie machten ihn rasend vor Neid. In beide Richtungen reagierte er weitaus extremer als vor der Geburt des Babys. Wahrscheinlich hatte Andy Stone, auch wenn er etwas zu selbstverliebt war, im Prinzip Recht. Man konnte es locker angehen und nur die halbe Arbeit erledigen und war noch immer besser als manch anderer.
Es war nicht einfach, mit jemandem zusammenzuarbeiten und dann zuzusehen, wie er Karriere machte und an einem vorbeizog. Holland war beeindruckt von Stones Lässigkeit, als er zum Sergeant befördert wurde. Zu seiner eigenen Überraschung war Holland – zumindest am Anfang – ganz wild darauf, mit »Sir« angesprochen zu werden. Er genoss den Respekt, der dem höheren Rang zukam. Obwohl das erst mit dem Inspector richtig fett wurde, legte Holland Wert darauf, so viel wie möglich davon abzubekommen. Aber bei Stone war es ihm nicht so wichtig. Vielleicht war das so wie mit seiner Arbeitsbeziehung zu Tom Thorne:
Auch hier spielte der Rang eine untergeordnete Rolle. Was, wie Holland hoffte, einiges über sie beide aussagte …
»Machen Sie eine für mich, Dave, geht das?«
Als er sich umwandte, stand Brigstocke neben ihm. Jeder nutzte seinen Rang aus, wenn er eine Tasse Tee wollte.
Holland schmiss einen Teebeutel in seine Tasse und noch einen in eine Tasse mit der Aufschrift »World’s Greatest Dad«.
»Was hat DI Thorne gestern Abend gesprochen?«, fragte Brigstocke. »Wahrscheinlich war er stinksauer, als Sie ihm von Susan Jago erzählt haben.«
»Nicht zu knapp.«
»Und war außerdem noch was?«
»Na ja …«
»Das mit den verschiedenen Gruppen hab ich übrigens an Paul Cochrane weitergegeben.«
Holland nickte. Cochrane war der Profiler, den Brigstocke über die National Crime Faculty hinzugezogen hatte. »Gut.«
»Genau genommen hatte er es bereits auf dem Radar.«
»Gut …« Holland schraubte die Milchflasche auf. Er hob die Plastikflasche an die Nase und roch.
»Ich hätte Kaffee nehmen sollen«, sagte Brigstocke. »Ich schlaf gleich ein.«
Holland schüttete heißes Wasser in die Tassen, und die beiden blieben eine Minute stehen, wobei sie mit fleckigen Teelöffeln auf ihren Teebeuteln herumstocherten.
»Und was denken Sie wirklich? Kommt Thorne zurecht?«
Holland dachte kurz nach. »Nicht besonders«, sagte er.
Man hätte es für ein Gespräch über den Fall halten können, über Thornes Rolle als verdeckter Ermittler. Aber es war keines von beidem.
Von der South Bank herüber fielen farbige Lichtstreifen auf das Wasser wie gezackte Messerklingen, während der schwarze Fluss darunter sich hob und senkte. Thorne schaute von der weiten Betonplattform über Temple Gardens aus über die Themse. Dieser Ort war früher bei den Prostituierten beliebt gewesen, wurde jetzt aber nur noch von Leuten aufgesucht, die nichts besaßen, was es wert war, verkauft zu werden. Neben ihm saßen Spike und Caroline und kuschelten sich aneinander.
Es war bereits nach Mitternacht und recht frisch.
Thorne hielt ein Bier in der Hand: das zweiprozentige Zeug in einer Special-Brew-Dose. Spike und Caroline tranken Fanta. Sie waren beide Anfang zwanzig, aber sie sahen aus wie Schulkinder. Seit ein paar Minuten hatte keiner mehr etwas gesagt, und Thorne merkte plötzlich, dass Caroline leise weinte. Spike hatte den Kopf gegen ihren gelehnt und tröstete sie.
Als Thorne fragte, was denn los sei, wandte Caroline sich zu ihm und wollte wissen, warum Menschen so krank und grausam sein konnten, Leuten wie ihnen wehzutun. Leuten, die selbst niemandem weh tun wollten und konnten. Sie spuckte aus und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab, während Spike Thorne erklärte – wie an dem Tag, nachdem die Leiche entdeckt wurde –, dass Caroline Radio Bob gern hatte. Weil er sie zum Lachen brachte und manchmal für sie eingetreten war. Caroline hörte nicht auf, nach dem Grund zu fragen, und schrie eine Weile. Thorne blieb nichts übrig, als abzuwarten, dass sie aufhörte.
Dann konnte er ihr nur sagen, dass der Kerl, der das machte, gefasst werden würde. Dass man ihm das Handwerk legen und ihn bestrafen würde. Er sagte es langsam und wiederholte es, bis er es beinahe selbst glaubte.
Später, als Spike und Caroline gegangen waren, saß Thorne noch
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