Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
immer da, trank sein Bier aus und dachte darüber nach, was Phil Hendricks gesagt hatte.
Ihm war absolut klar, dass er Hendricks mit dem Quatsch von wegen »einen Job zu erledigen« genauso wenig überzeugt hatte wie sich selbst. Links und rechts fuhren Menschen über die Waterloo und die Friars Bridge hinaus aus dem Zentrum. Thorne sah den Autos nach und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er selbst daran denken konnte, nach Hause zu gehen. Bis er nicht mehr diese Angst im Bauch spürte.
Seit er seinen Vater verloren hatte, bedeutete Zuhause für ihn zusehends das Haus, in dem er aufgewachsen war: der große, alte Kasten in Holloway, wo seine Eltern bis zum Tod seiner Mutter vor sechs Jahren lebten. Seine eigene Wohnung war für ihn plötzlich nur noch ein Ort, wo er Sachen unterbrachte. Eine möblierte Umkleidekabine, in der er sich umziehen konnte, bevor er sie als jemand anderer verließ. Eine mit IKEA-Möbeln ausgestattete Wechselstube.
Vielleicht sollte er sich etwas anderes suchen, wenn das alles vorbei war.
Jetzt, wo er etwas Geld hatte …
Unter ihm ächzte und schlingerte ein riesiger Vergnügungsdampfer am Temple Pier. Thorne sah zu, wie Menschen in Anzügen und Abendkleidern das Schiff verließen und vorsichtigen Fußes den Steg entlangtippelten. Eine bunte Lichterkette hing zwischen den grauen Schornsteinen des Schiffs. Als Thorne die Augen schloss, schwang sie kurz hin und her, leuchtete hinter seinen Lidern einmal kurz hell auf, so wie zuvor die Lichterperlen auf dem schwarzen Strom, und verblasste dann langsam.
1991
Es ist finster, nur noch drei Männer hocken auf dem Boden.
Der vierte steht mit Schutzbrille und Gewehr zwischen zweien von ihnen. Während der eine das Gewehr im Anschlag hält, dreht der andere dem dunkelhaarigen Mann die Arme auf den Rücken und tritt hinter ihn. Er zieht einen durchsichtigen Kabelbinder hervor und fesselt ihn damit an den Handgelenken. Die drei Männer am Boden, ebenfalls an den Handgelenken gefesselt, sehen dabei zu. Einer von ihnen spuckt auf den Boden und ruft etwas, worauf zwei der Bewaffneten links und rechts neben ihn treten. Einer rammt ihm ein Gewehr an den Kopf, und einer von den Männern mit Schutzbrille und Schal beugt sich zu ihm hinunter und sagt etwas. Dann tritt er zurück, hebt den Fuß und rammt dem Mann am Boden den Stiefel in die Brust, worauf dieser nach hinten in den Sand fällt, der inzwischen nass und fest geworden ist.
Alle Männer sind inzwischen klatschnass. Die mit der Schutzbrille wischen sich mit den Handschuhen die Gläser sauber. Die gefesselten Männer können sich nur schütteln wie nasse Hunde.
Der zuletzt Gefesselte wird von den zwei Männern auf die Knie gezerrt. Ein Gewehr wird ihm an den Kopf gehalten, und er schließt die Augen. Eine lange Zeit bewegt sich niemand, bis die Männer mit den Gewehren in Gelächter ausbrechen und der Gewehrlauf nach oben geht. Der kniende Mann sinkt stöhnend zu Boden, wird wieder hochgerissen und bekommt einen Tritt zwischen die Beine.
Eine Weile passiert nichts, dann fängt einer der bewaffneten Männer an, eine Plastiktüte zu schwenken. Er zieht etwas daraus hervor. Dunkle Streifen …
Der Mann auf den Knien sieht, was passiert, und reißt die Augen weit auf. Seine Freunde auf dem Boden wollen sich wehren, versuchen sich zu bewegen, aber sofort richten sich die Gewehre auf sie. Der kniende Mann wird nach hinten gerissen.
Stimmen werden laut, übertönen den Regen. Was sie sagen, ist schwer auszumachen.
»… hast du’s?«
»Noch mal?«
»Woher hast du’s?«
»Mitgebracht.«
»… fällt mir ein … könnte ein Rührei mit Speck wegputzen …«
»Das Zeug stinkt, Ian …«
Dann unverständliches Gemurmel. Eine Stimme ganz in der Nähe. Lauter als die anderen, aber irgendwie so tief und verzerrt, dass sie nicht klar zu verstehen ist.
Der Mann mit der Plastiktüte streckt den Arm aus. Etwas baumelt in seiner Hand. Er drückt es dem Knienden ins Gesicht, der den Kopf wegdrehen möchte, jedoch an den Haaren festgehalten wird, sodass er hinsehen muss.
Dann werden sie dem brüllenden Mann über Mund, Nase und Stirn gelegt.
Dünne Streifen von Speck.
Dreizehntes Kapitel
Vor ein paar Jahren hatte man herauszufinden versucht, warum der Mörder zweier Mädchen, gegen den bereits mehrmals wegen schwerer sexueller Übergriffe ermittelt worden war, eine Anstellung als Schulhausmeister hatte bekommen können. Die Untersuchungen machten deutlich, wie schwerfällig
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