Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
und fehlerhaft das landesweite System war. Eigentlich sollte die Polizei in der Lage sein, Daten bei anderen Dienststellen und Behörden im ganzen Land zu überprüfen und abzufragen, doch laut der Ermittlung wurde eine effektive Kommunikation an jeder Ecke behindert.
Das war schwer zu glauben, drei Jahrzehnte nach der Jagd nach dem Yorkshire Ripper – einem Mann, der mehrmals vernommen wurde und stets aus dem Kreis der Verdächtigen herausfiel, bis man ihn durch Zufall fasste. Damals, in den düsteren Zeiten der Karteikarten, Aktennotizen und turmhohen Aktenstapel, waren solche Fehler verständlich, aber heutzutage?
Doch obwohl so viele Beamte auf IT-Seminare geschickt und Abermillionen in maßgefertigte Software und modernste Technologien investiert wurden, bauten die Leute Mist. Manchmal lag es weniger an Unvermögen als an mangelnder Kompatibilität. Nicht nur die Computersysteme waren gelegentlich außerstande, mit denen anderer Stellen zu kommunizieren, sie konnten häufig nicht einmal miteinander in Verbindung treten. Es gab Firewalls und tatsächliche Mauern; unauffindbare Programme und kapriziöse Geräte. So konnte ein durchaus gewissenhafter und kompetenter Detective zwar mit einem einzigen Mausklick Shakespeares gesamte Werke auf einem digitalen Schlüsselbund speichern sowie Nacktfotos seiner Freundin um die ganze Welt verschicken, aber dennoch musste er feststellen, dass er nicht in der Lage war, auf Informationen in einem anderen Stockwerk desselben Gebäudes zuzugreifen.
Computer waren natürlich kleiner geworden und leichter, aber es gab noch immer genug Polizisten, die ihnen nicht so weit trauten, wie sie sie werfen konnten. In dieser schönen neuen Welt war der Papierberg in der Met noch genauso hoch wie früher …
Hendricks hatte keine Ahnung, ob es einen Ausdruck wie »Papierkrieg« für dieses Phänomen in der virtuellen Computerwelt gab. Aber er wusste, es gehörte zur Realität der britischen Polizei, und man konnte sich leicht darin verfangen. Darin verlieren. Das hatte er im Hinterkopf, als er beschloss, auf eigene Faust zu recherchieren und einen einzigen dampfbetriebenen PC anzuwerfen, um nach Tattoos zu suchen. Und sehr zu seiner eigenen Überraschung war er weniger als vierundzwanzig Stunden nach seiner leicht gereizten Unterhaltung mit Tom Thorne fündig geworden. In seinem Büro im Westminster Hospital las er die eingegangenen Nachrichten. Auf seine Anfrage hatte es mehrere Dutzend Reaktionen gegeben. Einige schienen eine weitere Recherche wert zu sein, einige waren zumindest gut gemeint, und ein paar waren höchst eigenartig.
Und ein Pathologe, Graham Hipkiss, hatte eine Telefonnummer angegeben.
Hendricks griff über den Schreibtisch zum Telefon. »Hier ist Phil Hendricks. Ich hab Ihre Nachricht im RCP-Forum gesehen …«
»Genau. Ich glaube, ich habe ein Tattoo, das Sie interessieren könnte.«
Dr. Hipkiss arbeitete als Pathologe an einem Krankenhaus in Nottingham. Er beschrieb die Tätowierung, die er vor einem halben Jahr an einem Unfallopfer gesehen hatte, das am Stadtrand aufgefunden worden war. Obwohl der Mann – der allem Anschein nach ein Obdachloser war – noch gelebt hatte, war er auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Weder das Auto noch der Fahrer konnten aufgespürt werden, und genauso erfolglos war die Polizei bei der Identifizierung des Opfers. Es hatte Aufrufe in der Midlands Today und der Nottingham Evening Post gegeben, aber niemand hatte sich gemeldet. Sechs Wochen, nachdem er auf der Straße aufgefunden worden war, bekam der Namenlose ein einfaches Begräbnis auf Staatskosten.
Hendricks spitzte die Ohren. Er schob einen Stapel Seminararbeiten beiseite und notierte die Buchstaben in sein Notizbuch, so wie Hipkiss sie von seinem Autopsiebericht ablas. Sie redeten noch kurz, bevor Hendricks Hipkiss um eine Kopie des Autopsieberichts bat und sich bei ihm für seine Bemühungen bedankte.
Dann betrachtete er sich die Tätowierung genauer:
B+
S.O.F.A.
Die obere Zeile unterschied sich von der Leiche des Unbekannten in der Leichenschauhalle unten. Hendricks legte die ursprüngliche Tätowierung darunter:
AB-
S.O.F.A.
Als er sie nebeneinander sah, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Wütend auf sich selbst blätterte er rasch sein Rolodex durch und suchte Russell Brigstockes Privatnummer.
Thorne hielt sich das Handy nahe an den Mund und flüsterte: »Und seht zu, dass sich Hendricks bloß nicht zu viel drauf
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