Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
noch länger auf der Straße zu bleiben. Wir hätten keinen Anreiz, den Hintern hochzukriegen …«
Das waren wohl dieselben Leute, vermutete Thorne, die das Leben im Gefängnis für zu gemütlich hielten. Die glaubten, die meisten im Knast würden eine ruhige Kugel schieben. Bei bestimmten Häftlingen sah er es genauso.
»Die meisten Obdachlosenzentren sind total anders als das hier«, sagte Spike. »Wart mal ab, bis du mehr gesehen hast. Ein paar sind echt übel. Warst du schon mal in einem Zentrum, in dem du nicht trocken gelegt wirst?«
»Glaub nicht …«
»Das bedeutet, du kannst Fusel mitbringen. Das war ja okay, aber die meisten sind die reinsten Löcher.«
Spike drückte die leere Wasserflasche zusammen. Sie verließen das Anschlagbrett und schlenderten zum Ausgang.
»Das kann auch manchmal unangenehm werden, du musst ständig aufpassen. Na ja, ich schätze, du kannst dich ganz gut wehren …«
Vor ein paar Monaten hätte Thorne ihm vielleicht Recht gegeben. Im Augenblick jedoch fühlte er sich schlapp und schwach. Dann fiel ihm ein, wie wütend er gewesen war, als er Moony von einer Straßenseite auf die andere gezogen hatte …
Neben der Tür, die vom Café in die Rezeption führte, hing ein Trophäenschrank an der Wand, in dem sich eine Reihe auf Hochglanz polierter Pokale und Teller befanden. Eine an die Scheibe geklebte Tabelle zeigte den Platz des Fünf-Mann-Teams in der Street League.
Spike wandte sich zu Thorne, als habe er soeben eine göttliche Eingebung bekommen. »Ich kenne ein paar Fußballfans mit so was. Was du vorher gefragt hast. Ein paar von den Chelsea-Anhängern hatten so Tattoos mit ihrer Blutgruppe. Und blaue gestrichelte Linien ums Handgelenk und den Hals, und darüber stand: ›Hier schneiden ….«
Thorne dachte darüber nach, was Holland am Telefon gesagt hatte: So was wie Soundso Football Association. Schwer vorstellbar, dass einer der Männer mit dem geheimnisvollen Tattoo ein Hooligan war, aber es war dennoch eine Überlegung wert.
Nicht dass sie nicht daran gedacht hätte, ihr Bruder könnte tot sein …
Während er mit Susan Jago redete, sagte Stone sich, dass es weitaus schlimmer hätte sein können. Es traf sie wenigstens nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, aber natürlich wollte das niemand hören.
Es tut mir Leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihr Sohn/Ihre Tochter/Ihr Mann/Ihre Frau … Es gab einen Unfall … Vielleicht möchten Sie sich setzen.
Jeder Bulle ging auf seine Weise mit diesen schwierigen Augenblicken um, hatte seinen eigenen Stil. Natürlich wurde die Nachricht vom Tod eines Angehörigen gewöhnlich persönlich überbracht, aber hier handelte es sich eher um eine Bestätigung. Daher fand man, ein Telefonanruf sei vertretbar. Trotzdem ärgerte es ihn, als Holland ihm den Job anhängte. Aber letztlich lief es gar nicht so schlecht. Er hatte Susan Jago von dem Autounfall erzählt, von der Narbe auf dem Arm des Toten, die in der Autopsie ausführlich beschrieben wurde und die sie zu der Überzeugung brachte, dass es sich bei dem Opfer um ihren Bruder handle …
»Ich versteh nicht, warum sie sich nicht bei uns gemeldet haben, als sie ihn gefunden haben.«
»Ihr Bruder hatte keine Papiere bei sich, Miss Jago. Man konnte unmöglich …«
»Wie sehr haben sie sich denn bemüht?«
»Das kann ich unmöglich sagen, tut mir Leid.«
Sam Karim ging an Stones Schreibtisch vorbei und hob die Augenbrauen. Stone schüttelte den Kopf und blies die Backen auf.
»Es ist einfach die Vorstellung, dass niemand bei ihm war«, sagte sie. »Verstehen Sie?«
»Aber ja doch. Wir verstehen das sehr gut und fühlen mit Ihnen.« Eine Redewendung, die er von amerikanischen Polizeiserien übernommen hatte.
»Hätten sie nicht was in der Zeitung bringen können und im Fernsehen? So wie bei dem Mann, von dem ich gedacht hab, es wär Chris?«
»Haben sie ja, in den Lokalnachrichten …«
Aufgebracht wiederholte Susan Jago die letzten Worte. Eine Pause entstand, und Stone wartete auf die Tränen. Sie blieben aus.
»Also, es tut mir Leid, Sie verstehen … der Überbrin ger …«
»Ist schon gut. Auf eine gewisse Art ist es sogar eine Erleichterung.«
»Ach ja, wegen des Tattoos. Wir wissen inzwischen, dass einige der Buchstaben für eine Blutgruppe stehen. Ihr Bruder hat sich seine Blutgruppe auf den Arm tätowieren lassen. Haben Sie eine Ahnung, warum?«
»Nein, leider nicht.«
Stone fing an, auf seinem Notizblock herumzukritzeln. »Sie wissen also nicht,
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