Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Schnürsenkel zu binden habe.
»Okay … Tut mir Leid, Sergeant.«
»Spielt eh keine Rolle.« Holland streifte sich die Handschuhe über und stand auf. »Nichts Ausgefallenes dabei. Kein Private Parts oder Corporal Clutterbuck …«
Sie liefen nach Süden zur Serpentine.
Es hatte angefangen zu nieseln, und Holland griff automatisch nach dem Schirm in seiner Tasche, hielt jedoch inne, als er sah, wie Thorne trotz des Regens weiterlief, als nähme er ihn gar nicht wahr.
»Warum sind Sie eigentlich umgezogen?«, fragte Holland. »Wollen Sie an so vielen Orten wie möglich Ihre Duftnote hinterlassen?«
»Mir blieb keine Wahl. Der Typ, dessen Platz ich mir unter den Nagel gerissen hab, kommt zurück. Heute oder morgen. Solche Aussagen bleiben immer irgendwie unklar …«
Spike war sich gestern ganz sicher gewesen, dass Terry T. unterwegs nach London sei. Er habe jedenfalls davon munkeln gehört, und weil Terry seinen Stammplatz wiederhaben wollte, hatte er Thorne geraten, sich bald nach einem neuen Schlafplatz umzusehen. Terry T. war laut Spike ein Riesenkerl und bekannt dafür, schnell durchzudrehen. Thorne hatte angebissen und getan, als falle er auf dieselbe Nummer rein wie an dem Abend, als er und Spike sich kennen lernten …
»Was macht Ihr Gesicht?«, fragte Holland, der Thorne seit seiner Verhaftung nicht gesehen hatte.
»Ach, erst jetzt bemerkt?«
»Ich dachte, es wäre Ihnen unangenehm, darüber zu sprechen …«
»Weil man mir das Gesicht zu Brei geschlagen hat?« Thornes Ton wurde plötzlich gereizt und scharf. »Oder warum es passiert ist?«
Die nächsten Minuten liefen sie schweigend nebeneinanderher.
»Sieht echt schlimm aus«, sagte Holland. »Das Gesicht, mein ich. Wollte nur wissen, ob es wehtut. Das ist alles. Hab gedacht, vielleicht könnten Sie sich von Phil Hendricks ein paar Schmerzmittel besorgen lassen.«
Thorne tat sein Sarkasmus von vorhin Leid. »Keine Sorge wegen meinem Gesicht. Sieht übel aus, aber unter den Blutergüssen bin ich der Alte.«
»Schlimm genug«, antwortete Holland.
Sie kamen am Cambridge Drive heraus, gegenüber der Hyde Park Corner. Thorne hatte sich für den langen Rückweg über den Piccadilly ins West End entschieden. Holland hatte vor, die U-Bahn zurück nach Colindale zu nehmen.
»Wollen Sie wissen, was ich an Ihrer Beförderung am schlimmsten finde?«, fragte Thorne. »Dass mir dadurch das Vergnügen geraubt wird, Sie »Constable« zu nennen und es dabei so auszusprechen, als würde es in der Mitte mit ›tz‹ geschrieben.«
* * *
Samstag war ein bisschen hektisch, aber er hatte bekommen, was er brauchte. Und seither war das Wochenende eigentlich recht angenehm verlaufen. Er fuhr auf einem Boot nach Greenwich und lief durchs Maritime Museum. In einem netten Pub an der Themse genehmigte er sich ein paar Bier und einen Sonntagslunch mit allem Drum und Dran. Später bummelte er durch ein paar Antiquitäten- und Secondhandläden. Er kaufte sich auf dem Markt ein Computerspiel und eine schwarze Wildlederjacke.
Wenn man sich nur ein bisschen umsah, fand man eine Menge solcher Viertel in London, nördlich und südlich der Themse, Viertel mit einzigartigem Charme und Charakter. Man konnte sich wirklich nur wundern, warum die Leute, die auf der Straße landeten, sich allesamt wie die Ratten im West End zusammenrotteten. Wurden sie von den Leuchtreklamen angezogen, oder was? Hielten sie das für den Glanz der Großstadt ? Er verstand es nicht. Sie hätten doch hingehen können, wo sie wollten. Platte machen ließ sich überall. War das nicht einer der wenigen Vorteile, wenn man obdachlos war?
So viel er über das Leben dieser Leute in Erfahrung gebracht hatte – und er hatte versucht, so viel wie möglich herauszufinden –, dachte er doch nach wie vor, dass es für einige von ihnen eine Frage des Lifestyles war. Natürlich gab es einige Vollidioten, die niemals zurechtkamen und immer an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, aber anderen war es so lieber. So wie er es sah, wollten sie nichts für sich tun und lehnten jede Hilfe von anderen ab. Es war nicht leicht, für diese Typen Sympathie aufzubringen …
In Anbetracht dessen, was er getan hatte, konnte man von ihm natürlich nicht gerade eine andere Einstellung erwarten, aber das war nun einmal seine Meinung zu diesem Thema. Er war fest davon überzeugt, dass er tun konnte, was er getan hatte, und dennoch fähig war, na ja, objektiv zu beurteilen, was in der Welt vor sich ging. Die Leute, die
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