Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
davon in Kenntnis zu setzen, wer über seine kriminelle Vergangenheit informiert wurde. Sein Vermieter wusste es. Also sagte man auch Freestone, dass er es weiß. Einige Leute hielten das für richtig.«
»Einige Leute?«
Roper fixierte Thorne, als wolle er sogleich etwas Respekt seinem Rang gegenüber einfordern, darauf hinweisen, dass ein »Sir« nicht fehl am Platze wäre, abgesehen davon, ob er nun einen höheren Rang bekleidete. Letzten Endes schien er aber zu dem Schluss zu kommen, dass dies so wirken würde, als habe er es nötig. »Das kommt darauf an, wo Sie den Schwerpunkt setzen«, sagte er. »Wenn Sie diejenigen fragen, die heute in den MAPPA - Ausschüssen sitzen, ob es darum geht, die Öffentlichkeit zu schützen oder den Täter zu rehabilitieren, werden Sie wahrscheinlich keine direkte Antwort bekommen. Die Parteilinie lautet, das eine hänge sehr vom anderen ab, und beides sei Teil einer allumfassenden Gesamtstrategie.«
»Aber damals war das anders?«
»Es gab einen bestimmten … Konflikt zwischen den verschiedenen Standpunkten. Einige fanden, es ginge nur um das Opfer, um den Schutz künftiger Opfer. Andere hatten mehr Mitgefühl mit dem Täter und glaubten, er verdiene jede Unterstützung bei seinem Bemühen, sich wieder in die Gemeinschaft einzugliedern, nachdem er seine Strafe abgegolten habe. Man solle ›im Zweifel für den Angeklagten‹ sein, statt ihn ständig zu verdächtigen.« Roper lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme. »Die einen glaubten, wir könnten ein klein wenig dazu beitragen, dass Grant Freestone auf den richtigen Pfad zurückkehrt. Die anderen warteten nur darauf, dass er wieder Mist baut.« Er streckte Thorne kurz eine Hand entgegen, um sich dann die Hose am Bein glatt zu streichen. »Und damit eines zwischen uns klipp und klar ist: Für welche Seite ich Partei ergriff, hat mit Ihrer Ermittlung definitiv nichts zu tun, Inspector.«
Eine der harschesten Unterscheidungen zwischen denen, die das Glas halb voll glaubten, und denen, für die es halb leer war, die Thorne je zu Ohren gekommen war. »Wie gingen Sie mit diesen … Konflikten um?«
Roper wich Thornes Blick aus, als er antwortete: »Wir suchten nach Kompromissen.«
»Wer suchte nach Kompromissen? Wer traf die Entscheidungen?«
»Das wurde diskutiert.«
»Wurde darüber abgestimmt?«
»So formell ging es da nicht zu. Man könnte vielleicht sagen, dass bestimmte Abteilungen mehr Gewicht hatten als andere. Schauen Sie, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wer für welche Entscheidung zuständig war oder wann, und mir ist ehrlich gesagt auch überhaupt nicht klar, inwiefern das jetzt wichtig sein sollte.«
»Nein, ist es wahrscheinlich auch nicht.« In Anbetracht dessen, was Sarah Hanley passiert war, war es vermutlich tröstlich, wenn die Erinnerung verblasste.
Von seinem Platz aus konnte Thorne ein, zwei Kilometer entfernt einen Hubschrauber der Met kreisen sehen. Etwa auf seiner Höhe, vielleicht ein bisschen niedriger. Er wusste, sämtliche Bilder, die er aufnahm, wurden live an Central 3000 übermittelt. Und plötzlich tauchte vor seinem geistigen Auge das Bild einer Hand am Joystick auf, die den Hubschrauber über eine Fernbedienung steuerte und immer im Kreis schickte.
Roper wandte sich um. »Haben Sie schon mal in einem gesessen?«
Thorne schüttelte den Kopf. Das kam gleich nach Bungee-Jumping oder Leichen waschen.
»Ich bin neulich mit einem mitgeflogen. Eine Wahnsinnsaussicht.«
»Aus der Ferne sieht alles besser aus«, entgegnete Thorne.
Roper wandte sich wieder Thorne zu und sah auf seine Uhr. »Ich hab leider nicht mehr allzu lange Zeit …«
»Können Sie sich Grant Freestone als Kidnapper vorstellen?«
»Ich bin nicht mal überzeugt, dass er ein Mörder ist.«
Thorne hatte noch nicht die Gelegenheit, sich die Unterlagen anzusehen, aber er konnte Ropers Sichtweise nachvollziehen. Es war schwer, »jemand durch einen Couchtisch zu werfen« mit einem geplanten Mord gleichzusetzen. »Sie halten es für einen Unfall?«
»Das ist möglich. Zumindest bin ich keineswegs davon überzeugt, dass er vorhatte, sie umzubringen, wie damals einige dachten. Allerdings gab es Hinweise auf einen Kampf. Seine Fingerabdrücke waren überall zu finden.«
»Wer fand die Leiche?«
»Eine Nachbarin. Sie stand auf der Kontaktliste der Schule. Als Hanley die Kinder nicht abholte, wurde die Nachbarin angerufen. Sie holte die Kinder ab und brachte sie nach Hause. Sie hatte einen
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