Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
rückte mit dem Stuhl näher an den Bildschirm und wartete auf den ersten guten Blick auf den Mörder.
»Freut euch nicht zu sehr«, warnte Kitson.
In diesem Augenblick senkte der Mann den Kopf und drehte sich von der Kamera weg.
»Scheiße …«
»Wird noch schlimmer«, sagte Kitson.
Das Bild gefror, und dann war die Lobby zu sehen: viel grauer Stein und auf jeder Seite eine Treppe, die nach oben zu einem Coffeeshop, Essbereichen und Bars führte.
»Hier sehen wir sie, wie sie in die Lobby kommen. Das ist fünf Minuten später als auf den Bildern vorhin.«
»Wo waren sie in diesen fünf Minuten?«, fragte Brigstocke.«
»Vielleicht musste einer von ihnen auf die Toilette. Ein bisschen knutschen? Wer weiß? Hier kommen sie …«
Die schmächtige Gestalt Greg Mackens und sein größerer und kräftiger gebaute Freund erschienen an der rechten Treppe unten und gingen auf die Kamera zu. Der Mann hatte dunkle Haare, trug Jeans und Jeansjacke, aber das Gesicht konnte Thorne noch immer nicht erkennen. Als sie nahe genug an der Kamera waren, um Gesichtszüge zu erkennen, legte der Mann Macken eine Hand auf die Schulter. Er beugte sich zu ihm, um ihm etwas zuzuflüstern, und drehte das Gesicht von der Kamera weg.
»Er weiß, wo die Kameras sind«, sagte Thorne.
Kitson nickte und ließ die nächste Sequenz laufen. Die Kamera über dem Haupteingang zeigte das Pärchen auf dem Weg nach draußen, gleich nachdem es aus dem Blickfeld der anderen Kamera verschwunden war. Dieses Mal war das Gesicht von Anfang an abgewandt, bis sie in sicherer Entfernung waren. Das letzte Bild, das Kitson auf dem Bildschirm stehen ließ, war eine hübsche Aufnahme seines Hinterkopfs, als er und Macken den Bürgersteig entlangliefen.
Kitson warf die Fernbedienung auf den Rollwagen.
Brigstocke stand auf und ging zu seinem Stuhl hinter dem
Schreibtisch. »Er war öfter in dem Club, oder? Das haben die Studenten doch erzählt?«
»Richtig«, sagte Thorne. »Um von Macken gesehen zu werden und um zu überprüfen, wo die Videokameras sind.«
»Warum die Mühe?«, sagte Holland. »Wir wissen doch, dass er sein Aussehen schon wieder geändert hat.«
Wahrscheinlich liegt Holland richtig, dachte Thorne, aber sie konnten sich nicht sicher sein. Wie Kitson schon angemerkt hatte, ließen sich die Widersprüche in den Zeugenaussagen auch einfach durch die üblichen Probleme bei der Beschreibung Fremder erklären. Es fiel den meisten Menschen ganz einfach schwer, sich das Aussehen eines Unbekannten einzuprägen. Das ging so weit, dass manche Polizisten sich gar nicht mehr die Mühe machten, sich solche Beschreibungen zu notieren.
Was immer der Grund war, die drei Beschreibungen, die sie hatten, stimmten in zwei Punkten überein: Der Mann war Ende zwanzig oder Anfang dreißig und eins achtzig groß. »Er weiß, dass er gesehen wurde«, sagte Thorne. »Und ich hab nicht das Gefühl, dass er sich deshalb groß den Kopf zerbricht. Aber gefilmt zu werden ist was anderes. Das Risiko will er nicht eingehen.«
»Vom Rocket Club bis zu der Wohnung der Mackens braucht man an die zehn Minuten zu Fuß«, sagte Kitson. »Dazwischen könnten wir ihn noch mit zwei, drei Kameras erwischt haben.«
Brigstocke sagte, was er sagen musste: Sie solle sich darum kümmern. Kitson erwiderte, sie sei bereits dabei, allerdings sei das, nach dem, was sie bis jetzt gesehen hatten, wohl Zeitverschwendung.
Thorne schüttelte den Kopf. Es sei sicher Zeitverschwendung. Mit einem Blick auf den Bildschirm fügte er hinzu:
»Ich glaube, wir können vergessen, was ich gesagt habe - dass er unvorsichtig wird.«
Es klopfte an der Tür, und Sam Karim steckte den Kopf herein. Er winkte mit einem Zettel. »Der FSS hat sich gemeldet. Sie haben die zwei Röntgenschnipsel von den Mackens mit den beiden anderen zusammengebastelt.«
Thorne griff nach dem Zettel.
»Sie sind dabei, die Sache zu scannen«, sagte Karim und gab ihm das Blatt. »Das kommt dann in einer Stunde oder so per E-Mail, bis dahin schicken sie uns ein Fax mit dem, was sie haben. Sie sagen, wir können anrufen, wenn wir Fragen haben.«
Thorne brummte »Danke«, als er sich an Karim vorbei in den Gang schob. Er ging in die Einsatzzentrale. Eine Minute später, als er die Ecke mit dem Faxgerät erreicht hatte, rief er das FSS-Labor in Victoria an und verlangte den Doktor zu sprechen, dessen Namen Karim auf dem Zettel notiert hatte.
»Verdammt, das ging schnell. Ich hab es noch gar nicht abgeschickt.« Dr. Clive Kelly bat
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