Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
in deinem Gesicht?«
»Mir geht’s gut.«
»Gott, ich hab gedacht, du wärst hier sicher. Als besonders gefährdeter Häftling.«
»Unglücklicherweise bin ich nicht nur mit Schwuchteln zusammengesperrt. Man kann aus den verschiedensten Gründen gefährdet sein und hier landen. Das hier stammt von einem ehemaligen Polizisten. Gab ihm ein paar Tage lang ein gutes Gefühl, nehm ich an. Und er hatte ein paar Tage Ruhe vor dem einen oder anderen.«
»Das ist der reinste Zoo hier.«
»Soll ja auch nicht nett sein. Stell dir vor, jetzt haben wir sogar eine PlayStation …«
»Ich hab darüber nachgedacht, weißt du, wie das wird, wenn du rauskommst.«
»Das wird nie der Fall sein, Tony, das hab ich dir gesagt.«
»Schadet doch nicht, wenn ich darüber nachdenke, was wir tun könnten.«
»Du und ich im Park, wie wir einen Scheißball rumkicken?«
»Du musst optimistisch sein.«
»Du redest Schwachsinn.«
»Ich geh nicht weg, das ist alles, was ich sagen will.«
»Gut, das ist gut.«
»Es muss doch Orte oder Dinge geben, die du gern sehen möchtest.«
»Klar doch. Ein Pub wäre schön. Ein ordentliches Paar Titten, die nicht an einem hundertzwanzig Kilo schweren Bankräuber hängen?«
»Ich versteh nicht, wie du lachen kannst.«
»Muss man.«
»Das hab ich auf alle Fälle nicht von dir geerbt. Den Sinn für Humor, mein ich. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas lustig gefunden habe. Ich seh die anderen, wie sie fernsehen und sich über so eine blöde Sitcom halb totlachen, und ich … kapier’s einfach nicht.«
»Du hast eine schwere Zeit hinter dir, das ist alles.«
»Hab ich gelacht, als ich klein war?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Nicht wirklich klein, mein ich, sondern als du mich gesehen hast?«
»Ich kann mich nicht erinnern, es war nur ein paar Mal.«
»Wir wissen beide, wer daran Schuld hat.«
»Jetzt fang nicht damit an.«
»Was?«
»Davon bekomm ich Kopfweh, wenn du über deine Mutter sprichst. Das meine ich ernst. Letztes Mal musste ich mich übergeben, als du weg warst.«
»Ich hab dir doch gesagt, es ist okay. Es war nicht deine Schuld.«
»Natürlich war es meine Schuld. Die Frauen. Dafür gibt’s keine Entschuldigung.«
»Das kommt davon, wenn man Geheimnisse hat.«
»Können wir nicht über etwas anderes reden?«
»Kein Problem.«
»Triffst du dich mit jemandem?«
»Wie? Mädchen meinst du?«
»Mädchen, Jungs, was weiß ich.«
»Fuck off, Dad.«
»Also?«
»Ab und zu. Nichts Ernstes. Warum?«
»Das macht mich noch immer fertig. Wenn du mich so nennst. Dad.«
Einundzwanzigstes Kapitel
Wenn am Anfang der Nachrichtenskala der Anruf vom Hauptgewinn im Lotto käme und ganz unten die Krebsdiagnose, dann würde der Anruf, den Thorne am Abend zuvor erhalten hatte, den vorletzten Platz belegen. Brigstocke sprach schnell und ohne zu zögern. Er wollte Thorne keine Gelegenheit geben, zu brüllen oder zu heulen, bevor er fertig war.
»Sie erinnern sich, ich sprach davon, dass das ein Nachspiel haben könnte. Nun, morgen um zehn Uhr ist es so weit. Das Beschwerdegremium hätte Sie gern dabei. Vielleicht suchen Sie sich einen Anzug raus. Sorry, den Anzug …«
»Hätte mich gern dabei wie in ›Ich hab die Wahl?‹«
»Hätte Sie gern dabei wie in ›Was glauben Sie denn?‹«
»Denken Sie nicht, ich könnte meinen Vormittag etwas effektiver verbringen? Zum Beispiel herausfinden, wer das Mädchen auf Maiers Foto ist? Nur ein Gedanke.«
»Tom …«
»Oder mir einen runterholen?«
»Lassen Sie nicht den Überbringer der Nachricht büßen.«
»Ich dachte eher an Erwürgen.«
»Stoßen Sie nicht zu viele vor den Kopf, okay?«
»Jetzt übertreiben Sie’s aber.«
»Einen netten Abend noch.«
»Den hatte ich«, sagte Thorne.
Jetzt, zwölf Stunden später, saß Thorne an einem auf Hochglanz polierten, hellen Holztisch in einem zu warmen Konferenzraum bei Scotland Yard. Außer ihm saßen noch sechs Leute am Tisch, alle mit einem frisch gespitzten Bleistift in der Hand und einem Notizblock vor sich. An den Tischenden standen jeweils eine Wasserkaraffe und Gläser. Thorne brachte die ein, zwei Minuten Small Talk lächelnd hinter sich, wobei er sich fragte, wie die Runde wohl reagierte, wenn er den Kopf auf den Tisch sinken oder um ein kühles Bier bitten würde, während er darauf wartete, dass sich aus der Wolke heißer Luft der mächtige Geruch gequirlter Scheiße erhebe.
Die Association of Chief Police Officers war für die Zusammenstellung
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