Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
das Leben zu nehmen fiel ein wenig leichter, wenn derjenige betrunken war. War dasselbe mit Brieftaschen. Für Greg Macken hatte das zweifelsohne zugetroffen - seine Reaktionen waren beeinträchtigt, und das Abwehrverhalten war ausgeschaltet, es fehlte etwas in seinen Augen, selbst kurz bevor das Licht darin erlosch. Bei dem Mann, der jetzt aus dem Pub kam, konnte er nicht sagen, ob er breit war oder nicht, andererseits verlangsamten bereits ein oder zwei Bier die Reflexe. Er ging über die Straße und folgte ihm. Wenn jemand sich genug Alkohol hinter die Binde gegossen hatte, konnte man ihm alles abnehmen, was man wollte. Dazu reichte schon ein Kebab als Waffe.
Was natürlich nicht bedeutete, dass die Leute, sobald Alkohol ins Spiel kam, alle einfacher im Umgang wurden.
Keiner wusste das besser als er. Hätte sein Vater nicht zu der Sorte gehört, die mit zu viel Sprit im Blut eher die Fäuste fliegen ließen als Küsschen gaben, hätte er vielleicht nie diese Schlägerei in der Kneipe in Finsbury Park vom Zaun gebrochen und wäre vielleicht nie verhaftet worden.
Und wäre - vielleicht - noch am Leben.
Als er an einer abbröckelnden Mauer vorbeikam, bückte er sich schnell, um einen faustgroßen Stein aufzuheben. Er ließ die Gestalt fünfzig Meter vor ihm nicht aus den Augen, sah zu, wie der Mann auf die Straße trat, als der Bürgersteig in schlammiges Erdreich überging. Er lief etwas schneller, griff noch mal in die Tasche und prüfte, ob er auch die Tüte dabeihatte und alles, was er sonst noch brauchte.
Als er nur noch ein paar Meter weg war, zog er die Zigaretten aus der Jacke und grinste dämlich, als der Mann über die Schulter sah, und ahmte das Anzünden eines Streichholzes nach. Der Mann nickte, und er bedankte sich, lief die letzten Meter, als wolle er ihn nicht zu lange aufhalten.
»Kann ich ein Zündholz gegen eine Zigarette tauschen?«, fragte ihn der Mann.
Noch besser …
Er dachte an seinen Vater, bevor er mit dem Stein zuschlug, wie er mit diesen gelben Fingern knetete und drehte und bei jedem Zug an den stricknadeldünnen Zigaretten die Wangen einzog. Die kaputten Zähne, die man sah, wenn er sagte: »Draußen ist das so gut wie überall verboten, stimmt’s? Die sperren die Leute deshalb ein. Ganz schön bescheuert, wenn das hier der einzige Platz ist, wo man überhaupt noch rauchen darf.«
Der Stein rutschte am Arm des Mannes ab - wahrscheinlich brach er ihn -, als er ihn hochriss, um sein Gesicht zu schützen. Er schrie vor Schmerz auf, der zweite Schlag
brachte ihn aber schnell zum Verstummen. Er kniete sich neben dem Mann ins Gras und drehte ihn um, setzte sich auf seine Brust und schlug noch ein paarmal zu, bis er keine Gegenwehr mehr spürte.
Nein, betrunken war er nicht, dennoch suchte er nach dem Licht, das erlischt, und schaute dorthin, wo die Augen hätten sein müssen, als er nach der Plastiktüte griff.
Es ließ sich unmöglich sagen. Das Gesicht war nur noch ein blutiger Brei.
Er schlug noch einmal mit dem Stein zu, und noch ein paarmal, bis der Stein zu glitschig wurde.
Als die Scheinwerfer auf ihn zukrochen, rollte er die Leiche über das Bankett und wartete. Sein Herz beruhigte sich, und das feuchte Gras kitzelte ihn im Gesicht, während der Lastwagen vorbeirumpelte. Er stand auf und wischte sich den gröbsten Dreck von der Jeans. Das Zündholzheft lag am Straßenrand, und er nahm sich eines heraus, um sich eine Zigarette anzuzünden, als er zurück zu seinem geparkten Auto ging.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Mittwochmorgen: Zwei Wochen nachdem ein Lehrer aus der Schule nach Hause kam und die Leiche seiner Frau fand und seit ein Mann, der sich Anthony Garvey nannte, auf sich aufmerksam machte.
Carol Chamberlain war sich nicht sicher, ob es nicht zu früh für ein Gläschen Wein war. Thornes Bemerkung über Ovomaltine dahingestellt, war es nicht gerade die Art von Hotel, in dem sich in jedem Zimmer eine Minibar befand. Doch im Verlauf der letzten Abende hatte sie eineinhalb Flaschen von dem Pinot Grigio geschafft, den sie sich in dem Threshers um die Ecke gekauft und im Badezimmerwaschbecken gekühlt hatte.
Sie wusste, was Jack dazu sagen würde, und beschloss, bis zum Abendessen zu warten und sich stattdessen wieder ihre Notizen zum Anthony-Garvey-Fall vorzunehmen.
Klingt nach vergeblicher Liebesmüh, hatte Jack gemeint. Sie hatte ihm erklärt, worum man sie gebeten hatte, und es nicht für nötig gehalten, dabei Raymond Garveys Namen zu erwähnen. Und es war ihm
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