Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
könnten; dass sie nicht die geringste Ahnung habe, was in seinem Kopf vorgehe. Er hatte sogar noch gebrüllt, als sie zu dem Kleinen gegangen war, der zu weinen angefangen hatte. Er hatte gebrüllt, weil er es nicht mochte, wenn sie ihm sagte, was er zu tun habe, und weil Easy ihn auf dem Flur wie einen dummen Jungen behandelt hatte, der unfähig war, wie ein Großer Entscheidungen zu treffen.
Nicht dass es jetzt noch eine Rolle spielte, wie er sich entschieden hätte. Dieser Geruch nach Metall und Schweiß reizte seine Nase, und noch etwas … etwas Verbranntes , wie auf den Straßen in der Bonfire-Nacht, wenn die Kracher gezündet wurden.
Er ging langsam ins Schlafzimmer und dachte an Javines Reaktion, wenn er Easy hier finden würde. Er war sich nicht sicher, wen er hier finden wollte …
Auf den Dielen war noch viel mehr Blut, und am Kopfende des Betts befand sich eine kleine Lache, wo das Blut von der Matratze getropft war. Theo stand am Fußende und sah hinunter auf die Toten: Wave, der quer über Sugar Boy lag. Nacktes Fleisch, wo ein Hemd nach oben gerutscht war, ein Arm war über ein Gesicht gestreckt. Sie waren hinter Wave her gewesen, Sugar Boy hatte einfach nur Pech gehabt.
Er fühlte sich plötzlich federleicht und zerstört.
Er wollte sich nur noch hinlegen und darauf warten, dass sie zurückkamen, und in den Ritzen zwischen den Dielen
verschwinden wie das Blut. Er wollte rennen, bis die Sohlen seiner Timberlands sich auflösten und die Haut in Fetzen von seinen Füßen hing.
Jetzt musste er wirklich wie ein Großer entscheiden, denn er hatte vor Augen, was er zu befürchten hatte. Wahrscheinlich hatten die Killer weniger Mitleid mit den Jungs gehabt, als sie den Abzug drückten, als mit Waves aufgedunsenem, hässlichem Köter, der am Fußende lag, als bewache er sie.
Er hatte eine Menge Geld für ein Bose-System der Spitzenklasse in seinem Arbeitszimmer ausgegeben. Subwoofer, Direct Reflecting Speakers, den ganzen Kram. Es war nicht genauso wie im Konzertsaal, aber wenn Frank die Anlage richtig aufdrehte, war es umwerfend.
Er saß mit geschlossenen Augen da und lauschte, wie Bruckner den Raum füllte: Die Geigen gingen ihm durch und durch, die Bläser waren so laut, dass beinahe die Fensterscheiben klirrten, und die Kesselpauken hallten von den Wänden wider.
Er hatte die CD-Beilage wie immer von vorn bis hinten gelesen, begierig, die Zusammenhänge zu verstehen. Anscheinend war Wagner, Bruckners großes Vorbild, gestorben, als er die Siebte schrieb. Frank glaubte, in den sich wiederholenden Motiven – oder wie das hieß – Bedauern zu hören, echte Trauer. Nur ein paar Monate, nachdem er dieses Konzert dirigiert hatte, gab von Karajan den Dirigentenstab für immer ab, was die Aufnahme in Franks Augen nur umso ergreifender machte. Nach dem Text auf dem Umschlag mochte Hitler die Siebte von Bruckner sehr gerne und hielt sie für beinahe so gut wie Beethovens Neunte. Da konnte man schwer was dagegen tun.
Schon merkwürdig, dachte Frank, dass so einer etwas so Schönes geschätzt hatte.
Als er die Augen aufschlug, sah er Laura die Treppe herunterkommen und an der Tür stehen bleiben. Da er wusste, dass das nicht wirklich ihre Musik war, fragte er sie, ob er sie gestört habe. Sie meinte, das sei schon in Ordnung und es gefalle ihr, aber Frank drehte die Musik trotzdem leiser.
Er erzählte ihr von Pauls Beerdigung und dass er wieder mit Helen gesprochen hatte.
»Du gehst doch hin, oder?«, fragte er. »Du solltest hingehen.«
»Natürlich geh ich hin.«
»Ich kauf dir ein neues Kleid.«
»Muss es schwarz sein?«
»Na ja, inzwischen sieht man ja jede Menge Blau und Braun auf Beerdigungen«, sagte Frank. »Manchmal sogar helle Farben. Aber ich finde die Tradition besser, respektvoller.«
»Was immer du meinst.«
»Du weißt, dass sie ein Kind bekommt? Pauls Freundin?«
»Hast du nie erwähnt.«
»Kann jeden Moment so weit sein. Du solltest sehen, wie dick sie ist.«
»Das ist schön«, sagte Laura. Sie kam ins Zimmer und setzte sich auf den Fenstervorsprung. »Ist schon schrecklich. Die Umstände, meine ich.«
Frank nickte. »Aber sie hat immer einen Teil von Paul bei sich. Das ist ein Bonus. Etwas Lebendiges, das atmet.«
»Das wird ihr helfen.«
»Das ist wichtig. Ich weiß Bescheid.«
Sie hörten eine halbe Minute der Musik zu.
»Ist das die CD, die Paul dir geschenkt hat?«
Frank nickte.
»Erzähl mir was darüber.«
Also holte Frank den Covertext aus der CD-Hülle, las
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