Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
Polizeisirenen und Leute rufen. Bevor der letzte Junge verschwand, schob er die Spitze seines Turnschuhs in die Blutlache, die sich unter Mikeys Kopf ausbreitete und in den Rinnstein lief.
»Klebrig«, sagte er.
DRITTER TEIL
Wölfe und Leoparden
20
»Ich weiß schon, eigentlich soll man diese Dinger nicht mögen«, sagte Deering. »Es ist schick, über sie herzuziehen, weil sie sich wie die Pest verbreiten, was weiß ich. Aber mir schmeckt einfach der Kaffee.« Dieses komische, abgewürgte Lachen. »Mir schmeckt der Kaffee wirklich … «
Er war seltsam, keine Frage, aber Helen fand, er war nicht ganz der Spinner, für den sie ihn nach den Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gehalten hatte. Vielleicht war das mit dem »Gott segne Sie« einfach ein Tick, und selbst wenn es kein Tick war, sah es nicht so aus, als wolle er sie dazu überreden, Jesus in ihr Leben zu lassen.
Helen trank Tee. »Mir schmeckt der Kaffee auch«, sagte sie. »Aber das Baby ist nicht so wild darauf. Es fängt dann an, wie ein Irrer zu strampeln.«
Deering hatte an diesem Morgen angerufen, nachdem Helen den Großteil eines äußerst unangenehmen Freitags und Samstags damit verbracht hatte, sich mit Leuten herumzustreiten: mit Pauls Mutter, die sich weigerte, auch nur über »Rockmusik« bei der Beerdigung zu reden; mit Jenny, die ihr gesagt hatte, dass sie nichts von Pauls alten Klamotten brauchten, aber danke fürs Angebot; mit ihrem alten Herrn, der sich an ihren hilfreich gemeinten Bemerkungen gestört hatte, als er sich abmühte, das Kinderbett zusammenzubauen. Deering hatte sie gefragt, ob sie Lust auf eine Tasse Kaffee hätte, und die Idee, mit einem mehr oder weniger Fremden über alles zu sprechen und ihm das Herz auszuschütten, erschien ihr gut.
Es gab eine Menge auszuschütten.
Er hatte sie kurz nach zehn Uhr abgeholt und war dann mit ihr zum Starbucks an der U-Bahn-Station in Brixton gefahren. Es war nicht viel los, und Helen hatte sich für einen Tisch am Fenster entschieden, damit sie, wenn das Gespräch durchhing, den Leuten draußen zusehen konnte. Aus dem schnellen Kaffee war ein Brunch mit getoasteten Panini und Schokoladenbrownies geworden. Wobei Deering darauf bestand, sie einzuladen. Und als Helen merkte, dass es schon fast Mittag war, wurde ihr klar, dass sie beinahe zwei Stunden ohne Unterbrechung geredet hatten.
Dass sie geredet hatte.
»Ich glaube, man reagiert extremer auf andere Menschen«, sagte Deering, »wenn man jemanden verloren hat.« Er nestelte an einem Knopf seiner verblichenen Jeansjacke, die er über einem dunklen Poloshirt trug.
Helen war überrascht, um wie viel jünger er außerhalb seines Arbeitsplatzes wirkte. Dabei versuchte er gar nicht, seine vorzeitige Glatze zu verbergen. Auch sein Akzent war stärker. Sie fragte sich, ob er ihn bei der Arbeit mit den Technikern und Polizisten unbewusst unterdrückte.
»Bei jeder guten Nachricht freut man sich wie ein König, und dann fühlt man sich wieder wegen jeder Kleinigkeit total genervt.«
Helen sagte, sie verstehe gut, was er meine. Genau so fühle sie sich. Allerdings habe es nicht gerade viele gute Nachrichten gegeben. Bestimmt nicht in den letzten Tagen.
Während der Auseinandersetzung mit Pauls Mutter hatte sie sich, so gut es ging, zusammengerissen und sich gesagt, dass diese Frau, mit der sie noch nie wirklich einer Meinung gewesen war, genauso am Boden zerstört war wie sie. Helen wusste nicht, ob Pauls Mutter über die Affäre Bescheid wusste, und sie wollte sie ganz bestimmt nicht danach fragen. Der
Streit mit ihrem Vater war nichts Neues gewesen, sie stritten sich ständig. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm sagte, was er tun solle. Eine Eigenschaft, die er seinen beiden Töchtern vererbt hatte.
Aber das mit Jenny war echt übel gewesen.
Ein leckeres Essen am Samstagnachmittag, Tim immer mit einem Auge beim Fußball, und die Kinder spielten brav. Eher ein wenig zu brav. Wahrscheinlich hatte man ihnen aufgetragen, nichts zu sagen oder zu tun, was Tante Helen aufregen könnte. Und keinesfalls Onkel Paul zu erwähnen.
Später in der Küche sagte Jenny, sie habe mit Tim gesprochen, und der habe ohnehin schon zu viele Klamotten. Sie müssten selbst mal ausmisten und einiges in die Kleidersammlung geben. Da platzte Helen der Kragen, und Jenny ging ganz ruhig zurück ins Wohnzimmer und bat die Kinder, oben zu spielen. Es war nicht gut gelaufen, und Helen hatte seither nicht mehr mit ihrer Schwester gesprochen.
Sie seufzte,
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