Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
ihre Mutter die Beine hochlegte. Das hatte Spaß gemacht. Jenny hatte die Teller weggeräumt, und sie hatten sich schlechte Witze erzählt oder bei den Songs aus dem Radio mitgesungen. Heute verrichteten Helen und ihr Vater die Arbeit eher schweigend.
Ihr Vater hatte ein großes Steak und einen Kidney Pie von Marks and Spencer besorgt und eine Dose Bier geöffnet. Er hatte ihr erzählt, was er den Tag über gemacht hatte – in der Fernsehzeitung die Sendungen eingekreist, die er sich später ansehen wollte, mit dem Typen zwei Häuser weiter ein Bier getrunken und mit der netten Dame gegenüber eine Tasse Kaffee -, während Helen genickt und die Teller abgeräumt hatte. Nach der morgendlichen Kotzsession hatte sie wie üblich einen Mordshunger.
»Und wie war dein Sonntag?«, fragte er.
Sie hielt ihre Antwort unverbindlich, weil sie nicht erpicht auf die Fragen war, die unweigerlich kämen, wenn sie das Mittagessen mit Roger Deering und den Nachmittag bei Sarah Ruston erwähnte. Sie erzählte ihm, sie hätte einen ruhigen Abend zu Hause verbracht.
Sie sah ihrem Vater dabei zu, wie er aß, und nutzte die Gelegenheit, sich dafür zu entschuldigen, dass sie sich vor zwei Tagen gestritten hatten, als er das Kinderbett zusammengebaut hatte. Es war zwar nicht ihre Schuld gewesen, aber darauf kam es, wenn es um ihren Dad ging, nicht an. Er war nachtragend wie Jenny.
Er sah sie über den Tisch hinweg an und errötete. »Sei nicht albern, Schatz. Ich sollte mich entschuldigen. Ich kam mir gestern den ganzen Tag hundsgemein vor.«
»Ach …«
»Ich bin ein ekelhafter alter Idiot.«
Das war eine Premiere. Sie wusste, wie sehr er sie beschützen wollte, und eine Woge des Mitgefühls für diesen alten Mann erfasste sie, dessen große Hände nicht für Samthandschuhe geschaffen waren.
Helen hatte ziemlich schnell gemerkt, dass ihr Zustand so etwas wie die »Sie kommen aus dem Gefängnis frei«-Karte war. Ob es um einen Streit im Postamt oder um einen kleineren Ladendiebstahl ging, während einer Schwangerschaft war alles nur halb so schlimm. Schließlich war es nicht ratsam, sich mit einer Schwangeren anzulegen und bei der Ärmsten einen Gefühlsausbruch auszulösen. Bei dieser labilen Hormonlage.
Sie wiederholte es trotzdem – es tat ihr leid, dass sich ihr Vater hundsgemein vorgekommen war -, während sie sich zugleich vornahm, in Zukunft um einiges ekelhafter zu werden.
»Aber mit dem Kinderbett hatte ich recht«, sagte er.
Nach dem Abwasch trocknete sich ihr Vater die Hände mit einem Geschirrtuch. »Du hast dich noch immer nicht richtig ausgeheult, Schatz?«
Helen lachte und rieb den letzten Teller trocken. »Ich hab gestern bei Inspector Barnaby Rotz und Wasser geheult.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Ja, klar …«
»Wegen Paul«, sagte er. »Du hast nicht wegen Paul geweint.«
Helen stellte den Teller ab, als ihr Vater zu ihr trat, und fing an zu weinen, wenn auch aus den falschen Gründen. Er beruhigte sie und rieb ihr über den Rücken, und sie drückte das Gesicht an seine Schulter. Sie roch sein Aftershave und drückte ihre Wange an sein weiches Hemd.
»Ich hab’s dir gesagt«, schluchzte sie.
Als sie sich von ihm gelöst hatte und die Teller in den Schrank räumte, redeten sie über die Beerdigung. Der Termin stand noch immer nicht fest, aber Helen vermutete, die Leiche würde sicher bald freigegeben werden. Sie erzählte ihm, Pauls Mutter sei merkwürdig. Helen wollte keine Blumen, ihr wären Spenden auf ein Spendenkonto der Polizei lieber gewesen. Aber Caroline Hopwood beharrte hier genauso auf der Tradition wie bei der Auswahl der Musik.
»Das ist verständlich.«
»Ach ja? Ich trag ihr Enkelkind im Bauch.«
»Sie wird es sich bestimmt noch anders überlegen.«
»Ich kann gar nicht sagen, wie wichtig mir das ist«, sagte Helen. »Mir fehlt im Moment einfach die Kraft, dafür zu kämpfen.«
»Soll ich mit ihr darüber reden?«, fragte ihr Vater.
Helen dachte an die merkwürdige Atmosphäre bei der Party zu Pauls dreißigstem Geburtstag, an die steifen Gespräche zwischen ihrem Vater und Pauls Eltern, die sich zum ersten
Mal getroffen hatten, und wie Paul und sie sich hinterher darüber lustig gemacht hatten. »Ich regle das schon«, sagte sie. »Danke.«
Ihr Vater nickte, öffnete den Kühlschrank und holte ein Trifle heraus, das er als Nachtisch gekauft hatte.
Helen lächelte. »Das nenn ich auf den Putz hauen.«
»Ich wollte fragen, ob ich helfen könnte, Paul zu tragen«, sagte
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