Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
berechtigten Zweifeln und der Bedeutung von Beweisen und so weiter erzählt.«
Kitson nickte. »Wenn man keine Leiche hat und der Verteidiger weiß, was er tut, hat man echt zu knabbern.« Sie sah Thorne an. »Haben wir zu knabbern.«
»Sie hätten wirklich nicht mehr tun können«, sagte Holland.
Thorne schloss langsam die Augen und stellte sich vor, wie Adam Chambers feierte, wie er es in irgendeiner Bar im West End, in der sich viel weniger Polizisten herumtrieben, so richtig krachen ließ. Er malte sich die jubelnden Freunde und Angehörigen aus und mutmaßte, dass es auch für sie in gewisser Weise wie ein Freispruch sein musste. Es bestand keine Notwendigkeit mehr, Arbeitskollegen anzulügen oder die eigene Lebensgeschichte umzuschreiben. Sie würden sich nicht mehr vor unangenehmen Fragen drücken müssen, die ihnen gestellt worden wären, wenn jedes Jahr an Andrea Keanes Geburtstag Journalisten bei ihnen angeklopft und darauf beharrt hätten, dass sie doch irgendetwas darüber wissen mussten, was ihr zugestoßen war. Jetzt konnten sie ihre eigenen Zweifel in Bezug auf Adam Chambers’ Unschuld vertreiben – und Thorne wusste, dass sie diese hatten –, bis sie ihnen wie etwas erschienen, das sie nur geträumt oder sich eingebildet hatten.
»Wir müssen einfach weitermachen«, sagte Kitson.
»Das Leben ist kurz, habe ich recht?« Thorne kippte ein Drittel seines Pints hinunter und unterdrückte einen Rülpser. »Für manche ist es allerdings viel kürzer als für andere.« Er dachte an die beiden achtzehnjährigen Mädchen. Seine Erinnerung an das eine Mädchen war von Ungerechtigkeit getrübt. Immerhin bestand vielleicht die Chance, das andere zu finden. Dafür zu sorgen, dass er selbst sich um einiges besser fühlte, und sein Gewissen zu entlasten, das von seinem Misserfolg bei der Suche nach dem ersten Mädchen gezeichnet war.
Das Pferd, das er Jesmonds Ansicht nach wieder besteigen sollte.
Sam Karim brachte eine weitere Runde an den Tisch und setzte sich genau in dem Moment zu ihnen, als Russell Brigstocke aufstand, um eine kurze Ansprache zu halten. Der Detective Chief Inspector dankte allen für ihre harte Arbeit, versicherte ihnen, sie seien die Besten, mit denen er jemals zusammengearbeitet habe, und sagte, dass sie es womöglich eines Tages noch einmal versuchen könnten, wenn irgendetwas Neues auftauche. Es waren Beifallsrufe und halbherziger Applaus zu hören, dann stieß der ganze Pub auf Andrea Keane an.
»Gott segne sie«, sagte Thorne. Das war die Art von Äußerung, die ein Polizist in einem solchen Augenblick zum Besten gab, wenn er Alkohol intus hatte. Sogar einer, der kein bisschen religiös war.
Beim Oak handelte es sich nicht um die Sorte von Lokalität, in der man Ärger bekam, wenn man nach Ladenschluss weitertrank, doch es war keine Viertelstunde mehr bis zum Ende der offiziellen Ausschankzeit, als Thorne jemanden aus der Herrentoilette kommen sah, den er kannte. Wenn ihn sein Gedächtnis nicht täuschte, hatte Gary Brand als Detective Sergeant an den ursprünglichen Ermittlungen im Fall Alan Langford gearbeitet und ein paar Verhören von Paul Monahan beigewohnt. Danach war er noch etwa achtzehn Monate bei der Mordkommission geblieben, bis woanders ein Inspector-Posten frei geworden war, und soweit Thorne sich erinnern konnte, arbeitete er jetzt auf der Südseite des Flusses.
Thorne dachte sich, es sei womöglich eine gute Idee, ein paar Dinge mit jemandem zu besprechen, der zehn Jahre zuvor Teil des Teams gewesen war. Als er sich durch die Menge bewegte, spürte er, wie der Alkohol zu wirken begann. Er atmete ein paar Mal tief durch. Mit dem Auto nach Hause zu fahren, kam nicht infrage, doch das spielte keine große Rolle. Er hatte den ganzen Nachmittag am Telefon verbracht und die nötigen Vorkehrungen getroffen, und er würde seinen Wagen am nächsten Tag vermutlich nicht brauchen.
Brand schien erfreut zu sein, ihn zu sehen, und griff sofort zu seinem Portemonnaie. Die beiden gingen zum Tresen. Thorne bestellte ein kleines Bier, obwohl er wusste, dass es für Zurückhaltung schon ein bisschen spät war.
»Wohl kaum noch Ihr Stammlokal, oder, Gary?«
Brand war eins achtzig groß, schlank und ein paar Jahre jünger als Thorne. Er hatte kurz geschorenes Haar und trug eine von jenen Jacken aus dünnem, weichem Leder, die Thornes Ansicht nach Frauen besser standen. »Tja, ich kenne natürlich einige von den Jungs, die bei den Chambers-Ermittlungen mitgearbeitet haben, und
Weitere Kostenlose Bücher