Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
hassen.«
»Denkst du, sie hasst mich?«
»Nein, das war die falsche Formulierung …«
Anna nickte und aß die letzten Löffel. »Sie kommt nicht runter, oder?«
»Ich kann sie noch mal fragen«, sagte ihr Vater. »Kann versuchen, sie zu überreden.«
»Sie sollte nicht überredet werden müssen, Herrgott, ich bin ihre Tochter.« Sie lehnte sich zurück und kippte den Stuhl auf zwei Beine. »Und ich bin glücklich , weißt du?«
»Ich weiß«, sagte er. »Und was auch immer im Kopf deiner Mum vor sich geht, wie schlimm es auch werden mag, ich freue mich, dass es dir gut geht.«
»Na ja, so weit würde ich auch wieder nicht gehen. Ich kann kaum meine Miete bezahlen.«
»Brauchst du ein bisschen …?«
»Um Gottes willen, nein, ich wollte damit nur sagen … ich bin noch dabei, mich einzuarbeiten, das ist alles. Die Leute sind interessant, und der Job macht Spaß. Damals bei der Bank … Na ja, du weißt schon.«
Sie hielt inne, und sie gaben beide vor, nicht den schweren Schritten aus dem ersten Stock zu lauschen, der Tür, die lauter ins Schloss fiel, als sie es hätte tun sollen.
»Erzähl mir von dem Fall«, sagte er.
Anna nickte. »Bist du sicher? Ich meine, vielleicht ist er nur für mich interessant.«
»Das genügt mir«, erwiderte er. Dann beugte er sich über den Tisch, um die Schüssel seiner Tochter nochmals mit Rice Krispies aufzufüllen.
Andy Boyle gehörte zu jenen Trinkern, die immer weniger sagten, je mehr sie intus hatten. Er war nach wie vor redselig, neigte jedoch dazu, sich zu wiederholen, und die Schweigepausen zwischen seinen zunehmend undeutlichen und weitschweifenden Äußerungen wurden länger.
»Man muss würdigen, was man hat, will ich damit sagen, denn im einen Moment ist alles in Butter, und im nächsten ist man völlig am Arsch. Man lebt so vor sich hin, ist quietschvergnügt, dann geht man zum Arzt, weil man einen Knoten oder so bei sich entdeckt, und alles geht den Bach runter. Seien Sie also verdammt vorsichtig.«
»Das werde ich.«
»Ich will damit nur sagen …«
Thorne hörte zu, gab die passenden Laute von sich und warf jedes Mal, wenn Boyle nicht hersah oder für ein paar Sekunden die Augen schloss, einen Blick auf seine Uhr. Gegen Viertel nach neun fragte er schließlich, wo der Zugfahrplan sei, und erkundigte sich nach der Telefonnummer der örtlichen Taxizentrale. Boyle dirigierte ihn zu einer Schublade des Tischs im Flur, dann zu einer Schale in der Küche. Während Thorne blinzelnd die lächerlich kleine Schrift auf dem Fahrplan zu entziffern versuchte, griff Boyle nach einer weiteren Bierdose, die neben seinem Sessel stand – nach einer von mehreren, die er von seinem letzten Ausflug in die Küche mitgebracht hatte.
»Das soll wohl ein Witz sein.«
»Was?«
»Wissen Sie, wie lange dieser verdammte letzte Zug nach London braucht?« Thorne hatte zweimal hingesehen, um sich zu vergewissern, dass man bis St Pancras tatsächlich fast neun Stunden unterwegs war, wenn man um 22:10 Uhr von Wakefield losfuhr, wobei man in Sheffield umsteigen und dann in Derby viereinhalb Stunden auf einen Anschlusszug warten musste.
»Ich weiß, das ist lächerlich«, sagte Boyle.
»In dieser Zeit könnte ich zu Fuß nach Hause gehen.«
»Sehen Sie noch mal nach. Sie können auch einen Zug um Viertel vor sechs morgens nehmen, oder sogar noch früher, wenn es Ihnen nicht zu blöd ist, so zeitig aufzustehen. Dann würden Sie um halb neun an Ihrem Schreibtisch sitzen. Problem gelöst.«
Thorne fluchte ein oder zwei Minuten über die East Coast Mainline, über Richard Branson und über alle anderen, die es verdient zu haben schienen. Dann nahm er eine von Boyles Bierdosen und ging in den Flur, um Louise anzurufen.
»Das klingt, als wollte er von Anfang an, dass du über Nacht bleibst«, sagte Louise, nachdem Thorne ihr von den Zügen berichtet hatte. »Vielleicht bringt er dich im Schlaf um.«
»Kann sein, dass er noch seltsamere Pläne hat …«
»Womöglich war in dem Eintopf Schlafmittel.«
»Wie war dein Tag?«
»Tja, da du fragst, er hat damit angefangen, dass ich in Katzenkotze getreten bin, und von da an ging es nur noch bergab.«
»Oh, je.« Thorne hatte Elvis gefüttert, ehe er am Morgen aus dem Haus gegangen war – eine halbe Stunde, bevor Louise aufstehen musste. »Tut mir leid.«
»Ist nicht deine Schuld.«
»Und wie war’s bei der Arbeit?«
»Ich musste mich mit dieser Zicke von Detective Sergeant herumärgern, die neu ins Team beordert wurde.« Jetzt
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