Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
…
Thorne hatte den Wecker seines Handys gestellt, war kurz nach fünf Uhr morgens aufgewacht und hatte sich gefühlt, als habe er fast gar kein Auge zugemacht. Im Erdgeschoss hatte er Boyle schlafend vorgefunden, wie er ihn zurückgelassen hatte. Immerhin war er ansprechbar gewesen, sodass Thorne ihn fragen konnte, ob er sich saubere Socken und eine Unterhose von ihm ausleihen dürfe.
»Ich stecke sie morgen in eine Versandtasche«, hatte Thorne gesagt.
Boyle hatte gegrunzt und im Halbschlaf gemurmelt: »Danke für den Besuch.«
Da wie durch ein Wunder sowohl das Taxi als auch der Zug pünktlich waren, hatte Thorne es geschafft – wie von Boyle versprochen –, um halb neun im Becke House zu sein. Dort angekommen, war ihm gerade genug Zeit geblieben, um sich in der Kantine einen Tee und ein Sandwich mit Schinkenspeck zu holen. Und um sich zu überlegen, wie er am besten auf die SMS reagieren solle, die ihm Anna Carpenter geschickt hatte, als der Zug gerade in den King’s-Cross-Bahnhof einfuhr.
Was, zum Teufel, haben Sie zu Donna gesagt?
Jetzt saß er im hinteren Bereich der Einsatzzentrale, hinter etwa zwei Dutzend anderen, die sich auf Stühlen um zwei aneinandergeschobene Schreibtische versammelt hatten. Infolge der Fahrerflucht in West Yorkshire war das Team am Vortag um zehn weitere Polizisten verstärkt worden. Der Einsatz hatte über Nacht »an Bedeutung gewonnen« – ein praktischer und feinsinniger Euphemismus.
Mit anderen Worten: Es hatte weitere Tote gegeben.
»Das Auto, von dem Howard Cook am Sonntagabend überfahren und getötet wurde, ist gestern am späten Abend auf einem Feld zwischen Wakefield und Castleford gefunden worden, wo es in Brand gesteckt worden war.« Brigstocke richtete den Blick in den hinteren Teil des Raums und sah Thorne in die Augen.
Ein brennendes Auto. Hatte damit nicht alles angefangen?
»Wie Sie sich vorstellen können, war nicht mehr viel davon übrig«, fuhr Brigstocke fort. »Immerhin ließ sich noch feststellen, dass es sich um das fragliche Fahrzeug handelte. Es war am Sonntagvormittag auf einem Parkplatz in Wakefield gestohlen worden. Momentan wird es vor Ort von Kriminaltechnikern untersucht, aber ich glaube nicht, dass wir uns allzu große Hoffnungen machen sollten.«
Von einem der vorderen Stühle meldete sich Yvonne Kitson zu Wort: »Wenn der Fahrer des Autos der Meinung gewesen wäre, dass wir darin irgendwas Nützliches entdecken könnten, hätte er dafür gesorgt, dass wir es nicht so leicht finden.«
»Richtig«, erwiderte Brigstocke.
Hinter ihm war der Fall auf einem Whiteboard skizziert: eine Reihe von Namen und Bildern, die mit dicken schwarzen Filzstiftlinien miteinander verbunden waren. Auf der linken Seite befand sich ein Foto von Howard Cook, das seine Frau zur Verfügung gestellt hatte. Darüber hing eine Aufnahme von Paul Monahan und ganz oben ein Foto aus dem ursprünglichen Obduktionsbericht des ersten Opfers. Von den verkohlten Überresten, die vor mehr als zehn Jahren im Epping Forest aus Alan Langfords Jaguar geborgen worden waren.
Von einem Gesicht, das kaum als solches zu erkennen war. Von dem Rest, der lediglich die Form eines Körpers hatte.
In der Mitte der Tafel hing ein Foto von Alan Langford selbst – eine der vielen Aufnahmen aus den Akten, die allesamt mindestens ein Jahrzehnt alt waren. Von diesem Foto zeigten Pfeile auf die Bilder der Opfer sowie auf Kopien der neueren Aufnahmen von ihm, die seiner Exfrau zugeschickt worden waren. Auf der rechten Seite des Whiteboards hingen ein Foto von Donna Langford und eines von ihrer Tochter.
Während Brigstocke sprach, trat er hin und wieder zur Tafel und deutete auf das entsprechende Bild. Das war eine simple Gedächtnisstütze für die weniger kreativen Denker im Team. Dieses Mordopfer. Jenes vermisste Mädchen. Dieser zwielichtige Mistkerl, mit dem wir uns im Zusammenhang mit dem Tod dieses Mannes gerne unterhalten würden.
»Wir sind immer noch keinen Schritt weitergekommen, was die Identifizierung dieses armen Kerls betrifft.« Brigstocke deutete auf das oberste Foto. »Deshalb konzentrieren wir uns darauf, Langford mit den Morden an Howard Cook und an Paul Monahan in Verbindung zu bringen.«
Thorne war nicht zum ersten Mal erstaunt, wie Brigstocke es schaffte, so positiv zu klingen, wie gut er darin war, die Moral des Teams aufrechtzuerhalten. Selbst dann, wenn wie in diesem Fall »konzentrieren auf« leicht durch »nicht vorankommen mit« hätte ersetzt werden
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