Tonio
mit dem Fahrrad nach De Baarsjes. Zu Goscha. Ein Mädel, das Tonio und ich Anfang April im Trouw kennengelernt haben. Sie wohnt bei Jim und Tonio in der Nähe, in der Van Spilbergenstraat. Bei Goscha haben wir ein paar Dosen Bier getrunken, und so entstand die Idee, zu dritt die Stadt unsicher zu machen. Gegen zwölf waren wir in der Wibautstraat, im Trouw.«
Dort war es voll. Weil das Gerücht kursierte, daß Roxylegende DJ Dimitri an diesem Abend vor Pfingsten als mystery guest auflegen würde, waren die Tickets so gut wie ausverkauft. Um kein allzu lautes Gemurre am Eingang entstehen zu lassen, hatte die Kasse ein paar Karten »für bekannte Gesichter« beiseite gelegt. Dimitri hatte sich vor Jahren aus der nächtlichen Houseszene auf einen Ökohof zurückgezogen, wo er mit behinderten Kindern arbeitete. Seit kurzem legte er, so ging das Gerücht, wieder hier und da bei Feten auf, incognito und unter einem anderen Namen.
Ob die drei zu den »bekannten Gesichtern« gehörten, wußte Dennis nicht mit Sicherheit zu sagen, jedenfalls ergatterten sie Eintrittskarten. Die Musik war eine Enttäuschung. Techno, das ja, aber wer in Gottes Namen tanzte noch zu Kenny Larkin? Ob der dickwanstige DJ, der seine Kopfhörer wie ein Hundehalsband um den Hals trug, der berühmte Dimitri in disguise war – niemand konnte es ihnen sagen. Er legte keine Klassiker auf, obwohl das doch Dimitris Markenzeichen gewesen war, aber vielleicht unterließ er das ja gerade, um die Tarnung komplett zu machen. Daß er schon seit Stunden, ohne Ablösung, einen Soloauftritt hinlegte, das wiederum würde auf DJ Dimitri hindeuten.
»Wie war die Stimmung?« fragte Mirjam. »Na ja, abgesehen von der Musik. Hattet ihr Spaß?«
»Es war ein super Abend«, sagte Dennis. »Tonio stand drauf, von einer höheren Ebene aus auf die tanzende Mengezu schauen. Er machte dann auch immer Fotos, aber an dem Abend hatte er keine Kamera dabei. Ich mußte immer wieder mit ihm nach oben. Er konnte nicht genug davon kriegen. Big smile , ihr kennt das ja. Das hat ihm ‘nen Kick gegeben, all die wogenden Menschen auf einem Haufen … Es bedeutete ihm was. Ich weiß nicht, was. Er war so‘n besonderer Typ. Er war einfach dabei, sich zu entwickeln.«
»Hat er selbst nie getanzt?« wollte Mirjam wissen.
»Doch«, sagte Dennis, »aber nicht so oft. Er hat lieber zugeschaut. Jetzt, wo du‘s sagst … an dem Abend haben wir zusammen getanzt. Ich hab ihn in ‘nen Dip genommen …«
»He, Moment mal«, sagte ich. »Ich kenne verschiedene Bedeutungen des Wortes Dip. Ich hab es selbst mal verwendet für den Gemütszustand eines Dipsomanen. Aber jemand in den Dip nehmen beim Tanzen …«
»Also«, sagte Dennis mit den entsprechenden Handbewegungen. »Du hältst deinen Tanzpartner mit den Beinen nach oben fest und läßt ihn dann mit dem Kopf nach unten langsam zu Boden gleiten. Du dippst ihn sozusagen … wie ein Stück Möhre in die Dipsauce …«
Ich sah Tonios schmuddelige Hand mit den Trauerrändern wieder vor mir, die, bereits leblos, auf dem Rand des Sterbebetts gelegen hatte. Wie oft hatte er während des Dippens auf seinen Händen von Dennis weglaufen müssen, bis er solche schmutzigen Finger auf der Tanzfläche bekommen hatte? Jetzt mußte ich die Frage stellen, auf die ich lieber keine Antwort hören wollte.
»Wurde viel getrunken?«
»Da ist ziemlich viel Bier geflossen, ja«, sagte Dennis grinsend.
13
Dieser Traum neulich. Ich verbrachte die Nacht im Paradiso, in dem am frühen Morgen, bei Sonnenaufgang, ein großesFest beginnen sollte. Es war meine Aufgabe, als eine Art Portier beim Ertönen der Klingel die Tür für die ersten Gäste zu öffnen. Ich hatte mein CPAP -Gerät dabei und schlief mit der Apnoe-Maske auf dem Gesicht in einem hohen, kahlen Raum – bis die laute Klingel mich weckte. Ich ging los, um zu öffnen, wobei ich mir den Weg durch die stockdunkle Halle ertasten mußte. Ich machte die Tür auf: niemand. Ein Blick die Straße oder, besser gesagt: den Platz nach beiden Seiten hinunter. In meinem Traum war das Paradiso dort, wo das Theater steht. Die Stadt war ausgestorben, die Sonne noch nicht aufgegangen, doch über den Häusern lag bereits das fernsehblaue Licht der Morgendämmerung. Auf dem Leidseplein war ein verlassener Jahrmarkt aufgebaut, dessen Attraktionen mit Planen und Rolljalousien verschlossen waren. Ich machte die Tür wieder zu und versuchte, mit erneut angelegter Maske, auf dem Fußboden noch ein wenig zu schlafen.
Als
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