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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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machtlos aus einiger Entfernung zu. Ein Kind zu gebären, das war nichts für mein kleines, zartes Minchen – ich hätte sie nie in diese Lage bringen dürfen.
    Als die Wehen kurzzeitig nachließen, holte die rothaarige Wochenpflegerin, die uns vorhin beim Lift entgegengeeilt war, Kaffee. Bei der Rückkehr drückte sie mir einen Becher in die Hand und flüsterte: »Ich glaube, Ihre Frau könnte Sie jetzt mal brauchen.«
    Ich setzte mich mit dem Kaffee auf einen Hocker neben Mirjam. Ich nahm einen Schluck und beugte mich vor, um ihr Ermutigung zuzuflüstern. Bevor ich etwas hatte sagen können, rief sie: »Weg! Weg mit dem Kaffee! Der stinkt so … mir wird schlecht … ich halt das nicht aus …«
    So hatte sie mich noch nie angesehen (oder durch mich hindurchgesehen). Nicht nur, als würde sie mich nicht kennen, sondern auch, als bedrohe sie der Unbekannte. Mir fiel auf, daß sie sogar jetzt, während der Geburtswehen, die Betonung auf halt legte, wie sie es als Mädchen von ihres Vaters kuriosem Akzent übernommen hatte. »Ich halt das nicht aus.«
    Ich schrak vor ihrer heftigen Reaktion zurück und brachte dabei den Hocker fast zum Umkippen. So schlecht konnte es jemandem also vom Gebären werden. Ich flüchtete auf den Gang, setzte den noch beinahe vollen Becher irgendwo auf eine Fensterbank und spülte mir auf der Toilette den Mund bestimmt fünf-, sechsmal mit Wasser aus, wobei ich solange gurgelte, bis meine Kehle ganz rauh war.
    Als die Wehen wieder in voller Heftigkeit aufflammten, legten die Frauen Mirjam auf den Fußboden.
    »Keinen Schreck kriegen, Mädel. So kannst du dich beim Pressen besser dagegenstemmen.«
    Sie bekam ein Kissen unter den Kopf, und da lag sie nunauf dem verkratzten Linoleum, drei kniende Frauen um sich herum. Die Wochenpflegerin wischte immer wieder kleine Stuhlmengen weg, die beim Pressen heraustraten. Die Gynäkologin legte ein Stethoskop an Mirjams Bauch. Sie ließ die Gebärende ebenfalls horchen, doch die schüttelte gequält den Kopf zum Zeichen, sie solle ihr die Bügel aus den Ohren nehmen: Alles empfand sie jetzt als Belästigung. Die Gynäkologin winkte mir: Ich sollte auch mal kurz lauschen. Lieber nicht, doch ich wollte nicht als desinteressierter Vater erscheinen. Ich kniete mich neben Mirjam und achtete, das Stethoskop am Kopf, darauf, meinen Atem anzuhalten (es war natürlich die surinamische Wurst, die mit dem Kaffee auf nüchternen Magen den gebärfeindlichen Geruch produziert hatte). Ich lauschte meiner werdenden Vaterschaft. Die Augen geschlossen, sah ich auf meiner Netzhaut einen kurzen Ausschnitt aus einem Dokumentarfilm über ein Korallenriff vorbeiziehen. Panikartiges Brodeln aufsteigender Luftblasen. Flatsch, flatsch . Ein unwahrscheinlich schneller, wäßriger Herzschlag. Akustisch schon mal eine Fehlgeburt.
    Ich nickte und gab der Gynäkologin das Stethoskop zurück. Ich nahm meinen Platz auf dem Hocker neben der Tür wieder ein. Die Frauen berieten sich in gedämpftem Ton: ob es nicht langsam Zeit werde, die Fruchtblase zu sprengen. Kurz darauf hörte ich eine Flüssigkeit mit metallischem Geräusch in eine Schale tröpfeln … schießen … und wieder tröpfeln.
7
     
    »Schau, Mädel, hier ist das Fruchtwasser.« Die Hebamme vom Fiat Panda hielt der todkranken Mirjam die Nierenschale vor die Nase. »Wenn es leicht rötlich aussieht – das kommt von einem bißchen Blut.«
    Es war eine Station, auf der nichts ohne Beteiligung des Patienten geschieht. Der schwer durchhängende Körpermeiner Liebsten ruhte auf Händen und Knien auf dem Boden, wie ein trächtiges Tier, bereit, sich in die Gebärhöhle zu schleppen. Die hinter ihr hockenden Frauen stießen aufmunternde Rufe aus. Ich dachte: Jetzt hat das eigentliche Gebären begonnen. Aber nein. Ihr Jubel galt den Exkrementen der werdenden Mutter. »Na los, Mädel, da ist noch mehr. Fang die Wehe auf und drück dabei.«
    Eine Frau, die ein Wunder entfesseln wollte, mußte erst zeigen, daß sie alle Würde fallenlassen konnte.
    Als Mirjam noch auf dem Bett gelegen hatte, hatten die Damen sich etwas bezüglich der Öffnung des Muttermunds zugeflüstert, die, wie mit Hilfe eines raschelnden Küchenhandschuhs festgestellt wurde, acht Zentimeter betrug. »Bei zehn fangen wir mit dem Pressen an.«
    In noch gedämpfterem Ton wurde jetzt achteinhalb gemessen, was offenbar kein Hindernis darstellte, das Startsignal zum Pressen zu geben. Es mußte einen Grund für ihre Eile geben. Mirjam lag jetzt wieder rücklings und

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