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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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prangte ein üppiges Blumengesteck in Form eines Hufeisens.
    Ich weiß nicht, wie es dir geht, sagte Frank, aber mich kotzen Hochzeiten inzwischen nur noch an.
    Esther schaute sich suchend nach dem Brautpaar um, doch außer zwei älteren Frauen in violetten und türkisfarbenen Crêpekleidern konnte sie niemanden sehen.
    Mich nicht, sagte sie, während sie die beiden Frauen betrachtete, die sich eine Zigarette angezündet hatten und schweigend rauchten. Sie hatten etwas Altmodisches an sich, das ihrem Rauchen einen mondänen Anklang, einen verruchten Touch gab. Frank stapfte mit den Füßen auf, um seine Schuhe vom Sand zu befreien.
    Vielleicht war ich einfach schon auf zu vielen, murmelte er. Also, machen wir es wie geplant?
    Esther nickte. Sie fror. Wo die Arme aus der Jacke schauten, spürte sie die Kälte. Wie geplant, dachte sie. Das klang nicht romantisch. Wie geplant: Das klang, als hätten sie gemeinsam ein Vorgehen bestimmt und eine Vereinbarung getroffen, die sich nicht würde entschuldigen lassen durch Leidenschaft oder rauschhafte Hingabe. Aber war es nicht genau so? Bereits vorgestern hatten sie beschlossen, ihren Aufenthalt auf der Insel zu verlängern. Sie hatten einen Plan entworfen. Hatten sich ausgemalt, wie sie sich voneinander und von den anderen verabschiedeten. Wie sie dann – Frank in seinem Auto, Esther in einem Taxi – das Hotel verlassen und sich, nachdem Esther die Wartezeit in einem Café in der Nähe des Bahnhofs verbracht hätte, nach zwei Stunden wiedertreffen würden.
    Esther hatte, kaum war der Beschluss gefasst, Jean angerufen. Dies würde, hatte sie gedacht, der schwerste Teil des gesamten Vorhabens sein. Aber dann war es erstaunlich einfach gewesen: Jean hatte ihr zugestimmt. Wenn sie schon einmal auf der Insel sei, solle sie ruhig ein paar Urlaubstage anhängen. Er würde auch gerne kommen, könne aber die Praxis nicht schließen.
    Ja, sagte sie. Klar.
    In ihrer Stimme schwang eine Enttäuschung mit, die sie für Momente tatsächlich verspürte.
    Bist du sauer?, fragte Jean, und Esther sagte schnell: Nein, natürlich nicht.
    Dann erzählte er von den Krankheitsfällen der letzten Tage: dem Krebsgeschwür eines Kaninchens, der Diabetes einer preisgekrönten Norweger Katze, der Zahnreinigung eines Terriers, die sich als schwierig herausstellte, weil die Betäubung erst nach langer Zeit anschlug.
    Ich vermisse dich, sagte Esther.
    Sie hatte den Eindruck, ihn nie zuvor so geliebt zu haben. Und wenn er untreu war? Wenn er froh war, dass sie länger fortblieb? Vielleicht war das der Preis, den sie bezahlen musste für diese Affäre: dass sie mit dem Vertrauen in sich auch das in ihn verlor. Was, wenn es am Ende nur Verlierer gäbe: Jean, Frank, Ara, sie selbst?
    Ich dich auch, hatte Jean gesagt.
    Dann hatten sie aufgelegt.
    Während Esther auf das Taxi wartete, das sie, Lone, Claire und Thomas zum Bahnhof bringen sollte, konnte sie einen Blick in den vom Foyer abgehenden Gastraum werfen, in dem die Hochzeitsgesellschaft versammelt war. Inmitten der Gäste stand das Paar: der Bräutigam, ein schmaler, hochgewachsener Mann mit einem nur angedeuteten Schnurrbart, der in seinem hellgrauen Cut wie verkleidet wirkte, und die Braut, in einem weit ausladenden schulterfreien Kleid, mit langen Handschuhen, ohne Schleier, aber mit einem Diadem auf dem hellen Haar. Das ist die natürliche Chronologie, dachte Esther, aus den kleinen Prinzessinnen der Kommunion werden die großen, wild entschlossenen, die das eigene Handeln halb ironisch, halb euphorisch betrachten. Im hinteren Teil des bedrückend gewöhnlichen Raumes hatte eine dreiköpfige Combo Stellung bezogen und soeben das erste Lied, einen Schlager im Dreivierteltakt, angestimmt. Zwei Blumenmädchen, nicht älter als drei, vier Jahre, saßen auf dem Boden und leerten die restlichen Blüten vor sich aus.
    O je, stöhnte Lone. Das ist nichts für mich.
    Sie hatte über Esthers Schulter in den Raum geschaut.
    Obwohl es schon wieder spießig ist, so etwas spießig zu finden, sagte sie und ließ ein kleines, ponyartiges Schnauben hören. Na, jeder wie er’s mag. Bist du verheiratet?
    Ja, sagte Esther. Seit ziemlich genau zehn Jahren.
    Was war das, überlegte sie: Papierhochzeit, Federhochzeit, Blech oder irgendein anderes billiges Material? Hätte Lone sie gefragt, ob es eine gute Ehe sei, hätte sie Ja gesagt: Ja, das ist es. Das Einzige, was sie ängstigte, waren die Jahre, die vor ihr lagen. Zehn, zwanzig, vielleicht dreißig. Manchmal, wenn

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