Tontauben
ihr freuen?
Frank hatte begonnen, ihren Nacken zu küssen. Langsam schob er seine Finger unter den Gummizug ihrer Unterhose. Mit beiden Händen fasste sie nach hinten, um ihn auf diese Weise zu umarmen. Die Sonne stand jetzt so tief, dass sie die Augen schließen musste, um nicht geblendet zu werden. Sie drehte sich um und setzte sich auf die schmale Fensterbank.
Alles klar?, fragte Frank leise, während er sich zwischen ihre Beine drängte.
Vom Gang her waren die Geräusche ankommender Gäste zu hören. Schwere Schritte auf den Holzdielen, das Rollen eines Koffers, ein Klirren, als der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Esther lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe. In ihrem Rücken würden die Autos vorbeiziehen. Viele dunkle, ein paar bunte. Nur sie wusste davon, es war ihr Geheimnis, und sie teilte es mit ihm.
Ja, sagte sie. Alles klar.
Franks Auto war ein hochrädriger Geländewagen mit breitem Kühlergrill und flaschengrün getönten Seitenscheiben. Schon als er damit zum Café gekommen war, um sie abzuholen, hatte sie sich gewundert. Ich dachte, du lebst in der Stadt, hatte sie gesagt. Ja, und?, hatte er entgegnet.
Er hielt das Lenkrad mit der linken Hand und legte die andere auf ihr Knie. Die Landschaft war fahl, als hätte ihr der ständig wütende Wind alle Farben entzogen. Wenn man aus den Seitenfenstern schaute, legte sich eine grüne Tönung über die blasse Wirklichkeit.
Wo fahren wir hin?, fragte Esther.
Weiß auch nicht, sagte Frank.
Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Karte, die auf dem Armaturenbrett lag.
Such dir was aus.
Sie fuhren an das südliche Ende der Insel, aßen Fisch mit öligen Bratkartoffeln in einem Hafenrestaurant, in dem außer ihnen zwei Familien mit Kleinkindern und einige Rentner saßen. Dann machten sie einen Spaziergang auf der Strandpromenade. Das Wetter war aufgeklart, die Sonne brach durch die Wolken, und wenn sie auch kaum Wärme gab, nahm sie der Szenerie doch das Trostlose. Eine Gruppe von Behinderten hatte drei Strandkörbe belegt, zu zweit saßen sie unter den gestreiften Markisen, andere hockten mit schaukelnden Oberkörpern im Sand. Ein schwarzhaariger Junge mit teigigem Gesicht winkte, dann steckte er einen Finger in die Nase und sah Esther unverwandt an.
Die Hauptstadt der Insel war hässlich. Graue Hochhäuser aus den siebziger Jahren standen neben trutzigen Backsteinhäusern, die mit Reetdächern, weißen Sprossenfenstern und Holzzäunen Authentizität vortäuschten. Womöglich aber, dachte Esther, steckte auch ein ehrliches Gefühl dahinter: eine vage Sehnsucht, nicht unähnlich dem Heimweh. Die Einkaufsstraße, die aussah wie alle Einkaufsstraßen – graue Betonplatten, Kübel mit robusten Pflanzen, die gleichen Geschäfte und Ladenketten wie überall –, führte zum Strand, der nur gegen Bezahlung einer Kurtaxe betreten werden durfte. Sie setzten sich in ein Straßencafé, wickelten sich in die orangefarbenen Decken, die auf jedem Stuhl bereitlagen, bestellten Grog und sahen den wenigen Passanten hinterher, die mit Tüten und Taschen beladen durch die Straße eilten.
Lass uns Noten verteilen, sagte Frank und drehte seinen Stuhl so, dass er und Esther nebeneinander saßen.
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern sagte mit hochgezogenen Brauen: Zwei minus.
Die Frau, die er meinte, trug einen braunen Mantel, sie war schmal wie ein langbeiniges Tier, kurzes, blondes Haar umrahmte ein herzförmiges Gesicht mit einer randlosen Brille.
Fünf, sagte Frank und sah einem Mann hinterher, der seinen Bauch vor sich hertrug wie eine Schwangere.
Vielleicht sogar eine schwache Fünf.
Bevor er eine weitere Benotung vornehmen konnte, sagte Esther: Ich fand übrigens deinen Vortrag spannend.
Es war verwunderlich, dass sie bisher noch kein Wort über die Referate verloren hatten. Sie hatten über die anderen Referenten gesprochen, das Hotel und das Essen gelobt. Sie hatten von ihren Ehen gesprochen und überlegt, ob sie die Einzigen waren, die das Thema der Tagung (Eros – Usus und Abweichung) wörtlich genommen hatten. Sie hatten in ihrer Fantasie den Spanier mit Lone, einen der Berner mit Claire verkuppelt, sie hatten Henner dem anderen Berner zugesprochen und seine Professorin mit Johan Mortimer getröstet. Sie hatten darüber gesprochen, warum sie keine Kinder hatten und sich vorerst auch keine wünschten – Frank hatte einen Schauspieler zitiert, der auf die Frage, warum er kein Haustier habe, geantwortet hatte: Die wollen fressen, und man
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