Top Secret 1 - Der Agent (German Edition)
Eltern wurden nie gefunden. Mo wedelte ständig mit den Armen, als ob er Fliegen vertreiben wollte.
Nummer drei und vier waren Connor und Callum, die Zwillinge, die James ein paar Tage zuvor auf der Aschenbahn getroffen hatte. Er hatte sich ein paar Mal mit ihnen unterhalten und fand sie ganz in Ordnung.
Fünf und sechs waren Gabrielle und Nicole. Gabrielle kam aus der Karibik. Ihre Eltern waren vor einigen Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Trotz ihrer elf Jahre sah sie fit wie ein Turnschuh aus. Nicole war kleiner, zwölf und übergewichtig.
Nummer acht, James’ Partner, war Kerry. Sie war elf, klein und knabenhaft, mit breitem Gesicht und dunklen Augen. Ihr Haar war kurz geschoren. Noch vor ein paar Tagen hatte James sie mit schulterlangem Haar in einem roten T-Shirt gesehen. Jetzt sah sie völlig anders aus. Sie wirkte viel weniger nervös als die anderen.
Large führte sie im Trab zum Übungsgelände.
»Mach genau das Gleiche wie ich«, empfahl Kerry, während ihre Stiefel durch den Schlamm schmatzten.
»Wer hat dich denn zum Anführer gemacht?«, wollte James wissen.
»Ich bin schon mit sechs Jahren zu CHERUB gekommen«, antwortete Kerry. »Letztes Jahr habe ich bereits vierundsechzig Tage dieses Kurses absolviert, bevor ich mir die Kniescheibe zertrümmert habe und rausgeflogen bin. Wie lange bist du schon hier? Etwa zwei Wochen?«
»Ungefähr drei«, erwiderte James. »Warum hast du dir die Haare abgeschnitten?«
»Schneller gewaschen, schneller getrocknet, und sie hängen einem nicht immer ins Gesicht. Schnell zu sein und so ein paar Minuten für eine Pause zu sparen, bringt schon etwas. Ich werde mich bemühen, es dir leicht zu machen, James, wenn du etwas für mich tust.««
»Was?«, fragte James.
»Pass auf mein Knie auf«, verlangte Kerry. »Es wird von Titannadeln zusammengehalten. Tritt mir bei den Karateübungen nicht dorthin. Beim Laufen mit schwerem Gepäck übernimm etwas von meinem Gewicht. Hilfst du mir, wenn ich dir auch helfe?«
»Ich tu, was ich kann«, versprach James. »Wir sind doch Partner. Wieso lassen sie dich den Kurs machen, wenn dein Knie noch nicht wieder voll verheilt ist?«
»Weil ich gelogen habe. Ich habe gesagt, ich hätte keine Schmerzen mehr. Alle Kinder, mit denen ich aufgewachsen bin, leben jetzt im Hauptgebäude und gehen auf Missionen. Und ich sehe abends den Sechsjährigen dabei zu, wie sie an Bastelpapier herumschnippeln. Diesmal schaffe ich die Grundausbildung, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Kerry kannte alle Tricks auf dem Übungsgelände. Die eine Seite des schlammigen Tunnels war trockener als die andere. Es gab einen Trick, wie man das Seil anfassen musste, um sich auf die andere Seite des Sees zu schwingen. Sie wies auf eine versteckte Videokamera. Die Übungsleiter holten einen um drei Uhr morgens aus dem Bett und ließen einen den ganzen Parcours noch einmal machen, wenn sie auf dem Video feststellten, dass man schummelte. Am besten aber war, dass Kerry wusste, dass es unter Wasser einen Balken gab, der die Distanz, die über den See geschwommen werden musste, um zehn Meter verkürzte.
»Du schwimmst wie ein Fünfjähriger«, stellte sie fest.
Nach fünfzig Minuten war James voller Matsch und fror entsetzlich, aber sie waren weit vor allen anderen fertig. Kerry fand eine Wasserleitung, drehte den Hahn auf, zog das T-Shirt über den Kopf und wusch den Dreck heraus.
»Wasch immer dein T-Shirt. Mach dich damit sauber und wasch es dann wieder aus. Es ist zwar saukalt, wenn man es wieder anzieht, aber wir machen den Parcours jeden Morgen als Erstes und müssen den ganzen Tag dieselbe Kleidung tragen. Wenn du den Schlamm drinlässt, trocknet er an und kratzt wie blöd.«
»Was ist mit den Hosen?«, fragte James.
»Dafür haben wir keine Zeit. Aber bei der ersten Gelegenheit solltest du deine Stiefel ausziehen und die Socken auswringen. Hast du Hunger?«
»Ich habe nicht gefrühstückt, auch wenn Large das behauptet hat. Bis heute Abend bin ich verhungert.«
Kerry zog eine Reißverschlusstasche an ihrer Hose auf und holte einen King-Size-Marsriegel hervor.
»Cool«, fand James. »Tut mir echt Leid, dass wir alle meinetwegen kein Mittagessen bekommen.«
Kerry lachte. »Das liegt nicht an dir, James. Die finden hier immer einen Grund, das Mittagessen ausfallen oder alle eine Extrarunde auf dem Gelände laufen zu lassen. Oder dafür, dass alle ihre Betten nach draußen bringen und ohne Bettdecke im Freien schlafen
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