Top Secret - Der Ausbruch
nette Kerlchen wie ich.«
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Als James klein war, hatte er Tiere geliebt: die Plüschtiere in seinem Bett, die singenden Darsteller in den Zeichentrickfilmen und die übergewichtige Katze, die gelegentlich in den Garten seiner Großmutter wanderte, weil sie genau wusste, dass sie für diese Anstrengung mit einem Schälchen Milch belohnt würde.
Mit sieben hatte er für die Schule einen kleinen Aufsatz über Löwen geschrieben. Seine Mum hatte einen Film im Discovery Channel aufgezeichnet, der spät am Abend lief, als er schon schlief. James hatte beobachtet, wie die Löwinnen ihre Jungen leckten und träge unter einem Baum in der Sonne lagen. Dann gingen die Tiere auf die Jagd.
Die Löwinnen griffen eine Herde Antilopen an. Sie brachten ein einzelnes Tier zu Fall und zerlegten es: Sie rissen die Beine ab, gruben ihre Klauen in den Bauch, steckten ihre Schnauzen in den zuckenden
Körper und rissen große Fleischbrocken heraus, während ihnen das Blut das Gesicht rot färbte. Bis zu diesem Moment hatte James keine Ahnung gehabt, wie grausam die Natur sein konnte.
Er wollte sich bei seiner Mutter ausheulen, doch dann änderte er plötzlich seine Meinung. Er ging wieder zum Sofa, spulte nachdenklich das Band zurück und sah es sich noch einmal an. Immer wieder sah er sich den Film an, einerseits abgestoßen, andererseits aber auch fasziniert vom Tun der Löwen.
Die offen zur Schau getragene Brutalität der jungen Skinheads auf dem Hof des Arizona Max erinnerte James zum ersten Mal seit Jahren wieder an dieses Video. Für ihn verbanden sich darin Macht und Bosheit zu einer perversen Art von Glamour.
James gab an und mühte sich bei den Klimmzügen ab, bevor er neben Elwood auf den Boden sank und ihm zuhörte, wie er von den Taten der Skinheadgang erzählte. Elwood zeigte ihm verängstigte Kinder, die ihm jede Woche ihr Ladenformular überließen, damit sie nicht zu sehr verprügelt wurden. Er schwelgte in Geschichten über Leute, die er gequält, erstochen, mit heißem Wasser übergossen oder so schikaniert hatte, dass sie versucht waren, sich selbst umzubringen.
Doch diese Geschichte der Gewalt war keineswegs einseitig. Stolz präsentierte Elwood seine Narben an Bein, Brust und Rücken, die er in drei Messerkämpfen davongetragen hatte. Er meinte, man könne
nie wissen, wer durchdrehe und mit dem Messer auf einen losgehe. Das konnten genauso gut unscheinbare kleine Bücherwürmer sein wie dumpfe muskelbepackte Psychopathen.
James war angewidert, aber er hörte aufmerksam zu und lachte, wenn es von ihm erwartet wurde. Hauptsächlich vor Erleichterung. Die letzten achtundvierzig Stunden zählten zu den traumatischsten, die er je erlebt hatte, doch nun, da ihm die Skinheads so etwas wie Schutz angeboten hatten, begann sich der Knoten in seiner Magengrube etwas zu lösen. Als Nächstes musste er sich mit Curtis anfreunden.
Lauren hatte in der Zwischenzeit nicht viel zu tun. Ihre Aufgabe bei der Mission würde erst anfangen, wenn James und Dave geflohen waren. Sie nutzte die Gelegenheit, sich auszuschlafen und nach der Grundausbildung etwas zu entspannen, auch wenn es mehr Spaß gemacht hätte, wäre jemand wie Bethany bei ihr gewesen.
John nahm sie in ein Einkaufszentrum mit und ließ sie sogar ein Stück Auto fahren, damit sie sich daran gewöhnte, den Wagen im Verkehr zu steuern. Unglücklicherweise hatten die beiden völlig unterschiedliche Vorstellungen von einem Einkaufsbummel.
Lauren wäre liebend gerne den ganzen Tag im
Einkaufszentrum herumgelaufen, hätte sich alles angesehen, vielleicht ein paar Klamotten oder ein paar Sachen für ihr neues Zimmer bei CHERUB gekauft, bevor sie irgendwo etwas gegessen hätte. Johns Art, einkaufen zu gehen, hieß, dass er sich eine Liste mit den Dingen machte, die er benötigte, um dann den Laden im Sturm zu nehmen. Auf der Tafel am Eingang des Einkaufszentrums machte er den schnellsten Weg zu den Läden, in die er musste, ausfindig und sauste dann von einem zum nächsten. Als Lauren vorschlug, sich vielleicht noch etwas umzusehen , bevor sie gingen, blickte er sie an, als sei sie ein dreiköpfiges Alien, und stürmte zum Parkplatz.
Doch immerhin ergatterte Lauren eine Latexsocke zum Schwimmen. Wenn sie die Socke über den Verband an ihrem Fuß zog, würde die Wunde trocken bleiben, wenn sie ins Wasser ging. Sie kehrten zur heißesten Tageszeit zum Haus zurück und Lauren probierte ihre neue Errungenschaft sofort aus. Sie schwamm ein paar vorsichtige Bahnen, aber die
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