Topchter der Köingin Tess 1
mochte zwar ein Betrüger sein, aber hier verdarb er nur alles. »Darf ich?«, fragte ich und griff nach der Schreibfeder. Ich hatte eine Idee, wie ich die fehlende Summe ausgleichen konnte, aber wenn der Kapitän später glaubte, das sei seine Idee gewesen, umso besser. Unter seinem wachsamen Blick schrieb ich eine Summe auf ein Blatt Papier, die bis auf beunruhigend wenige Münzen an den Betrag in meiner Tasche heranreichte. Aber der Preis war mir nicht so wichtig, ich wollte ihn vor allem wissen lassen, dass ich rechnen konnte.
Er gab ein langgezogenes »Hmmm« von sich, als ich ihm das Blatt hinschob. Ich hatte mich soeben von einer Bettlerin zu einer vornehmen Dame gemausert, die in letzter Zeit ein wenig Pech gehabt hatte. Seine müden blauen Augen blickten schon eine Spur weicher drein, und er nahm den Hut ab und lehnte sich mit einer Spur von Interesse zurück. »Ihr habt recht«, gab er zu und strich sich das schmierige graue Haar glatt. »Ich hänge hier fest. Aber so ohne Fracht liege ich lieber hier in Saltolz als in Brenton.« Er tippte auf das Blatt. »Das hier reicht für die Pferde.«
Duncan richtete sich auf. »Komm, Tess«, sagte er. »Es gibt andere Schiffe.«
Ich ignorierte Duncan, der aufstand und den Korb Brötchen vom Tisch nahm. »Kapitän«, sagte ich und versuchte anzudeuten, dass Duncans Meinung nicht meiner Ansicht entsprach. »Die Strandläufer gefällt mir. Sie ist klein und schnell.«
»Habt es wohl eilig?«, fragte er und biss sich auf die Oberlippe, so dass sein Schnurrbart wild tanzte.
Ich nickte, denn dieser Schaden war nun schon einmal angerichtet, »über die Hauptstadt wird ein Sturm hereinbrechen«, vertraute ich ihm an. »Wir sind ihm nur sechs Tage voraus.«
Kapitän Borlett beugte sich so weit vor, dass ich das Bier in seinem Atem riechen konnte. »Ja«, sagte er leise. »So seht Ihr auch aus. Was wird geschehen?« Furcht spiegelte sich auf seinem Gesicht. »Die Pest?«
Ich schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Eine Hochzeit, Kapitän. Eine unerwartet hastige Vermählung der Prinzessin mit Prinz Garrett zum Ende des Monats.« Kapitän Borlett zog die Augenbrauen hoch. Offensichtlich war die Nachricht noch nicht bis hierhin gedrungen. Sie stellte eine wertvolle Information dar, durch die jemand ein Vermögen verdienen könnte. »In der Hauptstadt werden sie Wein haben wollen«, fuhr ich leise fort. »Guten Hochwein aus Lovrege. Von Brenton aus ist das eine Fahrt von zwei Wochen zu dieser Jahreszeit. Der Wein würde im Hafen der Hauptstadt einen hervorragenden Preis erzielen.«
»Wenn man ihn zum rechten Zeitpunkt liefert«, hauchte er, und seine Gedanken nahmen offenbar dieselbe Richtung wie meine. Duncan setzte sich wieder hin. Ich verscheuchte meine Gewissensbisse, weil ich den Kapitän in die Hauptstadt lotste, doch bis er schließlich dort ankam, würde sie schon gewonnen oder verloren sein.
Kapitän Borlett schüttelte den Kopf, doch das Glitzern in seinen Augen sagte mir, dass das nicht unbedingt »Nein« bedeutete. »Ein guter Rat«, sagte er. »Aber ich kann ihn nicht nutzen. Meine Geldgeber werden mir das Schiff auf den Strand ziehen lassen, wenn sie nicht bald den Jahresabschluss von mir bekommen. Auf dem Wasser kann ich nicht denken. Mir bleibt nicht genug Zeit, die Fahrt von Lovrege in die Hauptstadt zu machen und trotzdem meine Buchhaltung zu bewältigen.«
Ich lächelte. Die Überfahrt war uns sicher. Jetzt ging es nur noch um die Formalitäten – sofern Duncan die Verhandlungen nicht wieder in die Schohgrube lenkte. »Ich kann ein wenig mit Zahlen umgehen«, sagte ich. »Vielleicht könnte ich Euch als Gegenleistung für die Überfahrt die Bücher in Ordnung bringen?«
Er drehte ein Blatt um und kritzelte zwei grobe Reihen Zahlen darauf. »Zeigt mir, was Ihr könnt.«
Duncan beugte sich vor und sah zu, wie ich die Zahlen ordentlich untereinander schrieb und addierte. Mit einem angewiderten Schnauben richtete er sich wieder auf. Eine plötzliche Erinnerung trug mir den Duft von Gardenien heran – ich saß am Fischteich im Wintergarten, und die Sonne wärmte mir den Rücken. Hastig schrieb ich auf, was Kavenlow mir von der anderen Seite des Wintergartens her zurief. Er schnitt unbekümmert Zierpflanzen in Form, während ich mich bemühte, auf dem Papier auszurechnen, was er im Kopf addierte.
»Das reicht als Passage für Euch«, sagte der Kapitän und holte mich in die Gegenwart zurück. »Aber er?« Er deutete mit dem dicken Zeigefinger auf Duncan.
Weitere Kostenlose Bücher