Topchter der Köingin Tess 1
bestand.
Wir blieben vor Kapitän Borlett stehen. Ein Öllampe beleuchtete verstreute Papiere, und sein Krug verschmierte feucht die Notizen, auf denen er stand. Es herrschte ein ungeheuerliches Durcheinander, und ich war fassungslos, dass jemand auf derart chaotische Weise arbeiten konnte.
»Kapitän?«, sagte ich, als er nicht aufblickte. Ich sprach das Wort sorgfältig aus, um ihn wissen zu lassen, dass ich trotz meines heruntergekommenen Äußeren eine gebildete Frau war.
»Was wollt Ihr?«, bellte er, den Blick weiterhin auf seine Unterlagen gerichtet.
Ich zuckte überrascht zusammen und stieß Duncan mit dem Ellbogen an, als der den Mund öffnete. Er sollte nichts sagen. Ich würde warten, bis ich angemessen zur Kenntnis genommen wurde. Der Kiefer des Kapitäns spannte sich an und löste sich wieder. Seine Schultern sanken leicht herab, als er unter seinem Hut hervor zu mir aufblickte. Seine Augen wirkten müde, und die Fältchen darum herum verschwanden beinahe unter einem zottigen, fransigen Bart. »Ja«, sagte er seufzend.
Das war wohl das Beste, was ich erwarten konnte, also streckte ich die Hand aus. »Guten Abend, Kapitän«, sagte ich, als er kurz meine Hand nahm. Sie wurde völlig von seiner Hand verschluckt, dick und kräftig mit knorrigen Knöcheln und salzgegerbter Haut. »Dürfen wir uns zu Euch setzen? Wir werden Euch gewiss nicht lange aufhalten. Wie ich sehe, seid Ihr im Augenblick beschäftigt.«
Kapitän Borletts Blick huschte hinter uns zu dem Wirt. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, stieß halb belustigt und mit geblähten Backen den Atem aus und bedeutete uns, Platz zu nehmen. Duncan schnappte sich einen Schemel, doch ich wartete tapfer, obwohl mir immer wärmer wurde. Ich würde mich nicht hinsetzen, wenn mir niemand den Stuhl zurechtrückte. Es war sehr wichtig, dass der Kapitän mich für eine vornehme Dame hielt, obwohl meine Abstammung in Wahrheit niederer war als die aller anderen Anwesenden.
Duncan verzog das Gesicht und stand wieder auf. Der Wirt drängte sich ausgerechnet jetzt mit einem Korb warmer Brötchen, frisch aus der Küche, und zwei Krügen brackigen Wassers zwischen uns. »Nun stell dich nicht so an, Tess«, raunte Duncan mir zu, als er mir half, Platz zu nehmen. »Normale Leute benehmen sich nicht so.«
»Ich muss einen Ausgleich schaffen, weil du alle hast wissen lassen, wie eilig wir es haben«, zischte ich zurück.
»Ich habe es doch nur dem Wirt gesagt«, protestierte er leise.
Die schmale Bank glitt unter mich, und ich setzte mich. »Und seiner Frau«, erwiderte ich. »Die es den Fischweibern erzählt hat, die es dem Stallmeister erzählt haben, der es jeder Seele da draußen erzählt hat, verbrannt noch eins.«
Duncan ließ sich gereizt neben mir nieder. Wir folgten einer stummen Übereinkunft und warteten ab, bis der Wirt wieder ging. Der feuchte Duft von heißem Brot stieg zu mir auf, und ich zwang mich, die Hände ruhig in den Schoß zu legen. Ich wünschte, ich könnte mir einfach ein Brötchen nehmen, so wie Duncan, aber ich durfte nicht zu hungrig wirken. »Wir würden gern nach Brenton reisen«, sagte ich und übertönte damit meinen knurrenden Magen. Engelsspucke, war ich müde.
Kapitän Borlett tauchte seine Feder in die Tinte, ohne darauf einzugehen.
»Zwei Passagiere«, fuhr ich unbeirrt fort, »und drei Pferde.«
Ohne aufzublicken, brummte der gedrungene Mann: »Wenn Ihr Pferde habt, dann reitet doch dorthin.«
»Wenn ich reiten wollte, würde ich nicht mit Euch sprechen«, entgegnete ich und legte gerade das richtige Maß Arroganz und Gereiztheit in meine Stimme. »Die Strandläufer ist leer. Eure Mannschaft gibt soeben den letzten Rest ihrer Heuer aus. Was werden Eure Männer morgen tun außer Ärger machen? Ihr sitzt im Hafen fest, Kapitän, wenn Ihr nicht mit leerem Frachtraum segeln wollt.« Er blickte mit einer Mischung aus Überraschung und Sorge auf, und ich lächelte. »Wir möchten gern nach Brenton«, wiederholte ich freundlich.
Der Kapitän legte seine Feder beiseite und ließ die schwere Hand auf die Unterlagen sinken. Aufregung durchfuhr mich. Er dachte zumindest darüber nach. »Ihr beide«, sagte er und erfasste mit einem Blick unseren schmutzigen, erschöpften Zustand, »und drei Pferde.« Er zögerte. »Wird teuer.«
Duncan rutschte unruhig herum und sagte dem Kapitän damit, dass wir nicht genug Geld hatten. Ich schwor mir, den Kerl nächstes Mal im Stall zurückzulassen, wenn ich irgendetwas kaufen musste. Er
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