Topchter der Köingin Tess 1
niemals auf dem Thron sitzen. Damit hätte er einen allzu großen Vorteil. Die anderen hätten sich zusammengetan und wären über uns hergefallen, bis von Costenopolis nichts geblieben wäre als eine zerfledderte Fahne unter einer Strohmatratze.« Er runzelte die Stirn. »Es war allein schon ein Risiko, dich gegen das Gift zu immunisieren, aber ich war bereit, es einzugehen. Die Gefahr war recht gering, bis Hauptmann Jeck alles verdorben hat.«
Ich schwang mit kurzen, raschen Bewegungen die Arme, um sein Tempo mithalten zu können. »Mein ganzes Leben war für dich nur ein Spiel«, warf ich ihm vor. »Alles nur ein Spiel.«
Kavenlow duckte sich unter einem tief hängenden Ast hindurch und mied weiterhin meinen Blick. »Ja«, sagte er, »ein Spiel, Tess, aber ein sehr reales, kompliziertes, tödliches Spiel, und ich würde dich gern zur willigen Mitspielerin machen.«
»Dann gibst du also zu, dass du mich benutzt hast! Ich bin für dich nichts weiter als ein Bauernopfer!«
Er hielt mich an und sah mir mit gequältem Blick in die Augen. »Du bist kein Bauernopfer. Ich habe dich zu einer Diebin gemacht. Der Dieb ist die mächtigste Figur im ganzen Spiel. Die einzige nichtadelige Figur, die den König schlagen kann.«
»Eine Diebin! Meinst du nicht vielmehr eine Meuchlerin?« Es schnürte mir die Kehle zu, und ich wandte mich ab. Ich wollte nicht wieder weinen. Ich war frustriert, wütend und vollkommen verwirrt.
»Tess …« Er nahm meine Hände und führte mich vom Weg ab zu einem umgestürzten Baum. Steif setzte ich mich auf den Stamm und lauschte den Fröschen. Ich wollte ihn nicht ansehen, denn was auch immer er sagen würde, konnte gewiss nur eine Lüge sein. Jeck hatte recht. Wie sollte ich Kavenlow je wieder vertrauen?
Er blieb stehen und strich sich nachdenklich über den Bart. »Als der erste Attentäter bis ins Gemach der Prinzessin vordrang, bat die Königin mich, ein Kind zu suchen«, begann er.
»Mich«, warf ich ein, und es klang wie ein Schluchzen. Der Kopf tat mir weh, und ich hielt den Atem an.
»Du warst eines von den drei Mädchen, die ich an jenem Tag fand und in den Palast brachte«, bestätigte er ohne die geringste Reue.
»Wer waren sie – meine richtigen Eltern?«, brachte ich mühsam heraus.
Die Dunkelheit verbarg seine Augen. »Ich weiß es nicht. Ich habe dich bei einer Frau gefunden, die dich zwei Tage zuvor weinend aus den Armen deiner toten Mutter gezogen hatte. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, an jenem Tag nach meinem Nachfolger zu suchen, aber du warst stark, Tess. Du hast dich so fest an dein kurzes Leben geklammert wie ein Soldat im Kampf. In dem Moment, als ich dich in den Arm nahm, war ich verloren.«
»Wie viel Silber?«, fragte ich bitter, fest entschlossen, meinen wahren Wert zu erfahren.
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Doch, das kannst du.«
Er zögerte. »Genug für einen Laib Brot«, sagte er, und ich stöhnte hilflos. »Ich kenne meine Eltern ebenso wenig«, fuhr er fort und versuchte, meinen Blick einzufangen. »Kein Spieler kennt seine Abstammung. Ich wurde vom Hafen geholt. Meine Mutter war eine Schankmaid, mein Vater vermutlich ein Seemann.«
Ich schniefte kläglich. Ich wollte nichts mehr hören.
Kavenlow umfasste mein Kinn und drehte meinen Kopf zu sich herum. Die Schatten ließen sein Gesicht weich wirken. »Der König und die Königin haben dich gekauft, Tess, aber ich habe dich ihnen gestohlen.« Er lachte freudlos. »Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, dass du mich gestohlen hast. Ich hätte nie damit gerechnet.«
Ich hob den Blick und sah die Liebe in seinen Augen.
»Du warst so klug und aufgeweckt«, sagte er mit einem schwachen Lächeln. »Du warst die Tochter, die ich niemals haben konnte. Und als du die Pfeile des Meuchlers überlebt hast, der die anderen ermordete?« Sein Lächeln wurde breiter, als freute er sich über eine schöne Erinnerung. »Da habe ich die Königin davon überzeugt, dass ihre Tochter nur überleben könne, wenn sie fortgeschickt wurde. Ich hatte meine Schülerin gefunden und wollte sie mit all dem Wissen und Geschick und der Anmut einer Prinzessin großziehen.«
»Schülerin?«, flüsterte ich, und eine beinahe schmerzliche Hoffnung keimte in mir auf.
»Der König und die Königin sind von rechts wegen deine Eltern, aber ich habe dich erzogen, Tess«, sagte er, und ein stolzes Lächeln legte seine Augenwinkel in Fältchen. »Du bist viel mehr mein Kind als ihres.«
Die Anspannung in meiner Brust
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