Topchter der Köingin Tess 1
zwischen den Knochennadeln deutlich zu spüren.
»Stellt zusätzliche Wachen an der Außenmauer auf«, hörte ich Jecks angespannte, leise Stimme sagen und erschauerte ängstlich. »Bis der Mond aufgeht, wird es so dunkel sein, dass sie über die Mauer steigen könnte.« Er blickte in Richtung der Stadt, die von hier aus nicht zu sehen war. »Haben die Gardisten, die nicht für den Wachdienst eingeteilt sind, schon mit der Durchsuchung des Palastes begonnen?«
»Jawohl, Hauptmann«, sagte der zweite Mann. »Verteufeltes Mädchen. Soll ich die Wachen bei der Prinzessin verdoppeln?«
»Ja, und die bei Prinz Garrett ebenso. Sorgt dafür, dass er möglichst in seinem Zimmer bleibt.« Jecks Stimme wurde leiser, als die Männer weitergingen. Erleichtert atmete ich auf und tätschelte Banner. Vor Aufregung kribbelte es mich bis in die Zehenspitzen. Mein Herzschlag verlangsamte sich, als sich wieder nächtliche Stille ausbreitete.
Ich stand auf und blickte zum Wohnquartier der Garde hinüber: ein einstöckiges Gebäude mitten auf einer offenen Fläche. Darunter lagen die Zellen, aus der Erde gegraben und mit Stein vermauert. Ich hatte einmal eine als Spielhaus bezogen und erinnerte mich daran, dass sie trocken gewesen war und nach Erde gerochen hatte. Die Wachen zogen den bedauernswerten Gardisten, den ich für dieses Spiel als meinen »Ehemann« verpflichtet hatte, bis heute damit auf. Meine Wangen brannten beim Gedanken daran, wie unschuldig schamlos ich damals gewesen war.
Ich schlich die letzten Schritte bis zum Rand der Wiese. Ab hier gab es kein Versteck mehr, und selbst im Dunkeln war es eine beängstigende Vorstellung, diese offene Fläche überqueren zu müssen. Ich schlug ein gelassenes, gleichmäßiges Tempo an und ging den mit Sägespänen bestreuten Pfad entlang, als gehörte ich hierher. Man würde Banner und mich entdecken – oder eben nicht. Ein Zittern erwachte in meinen Beinen, und das Schwindelgefühl, das gleichzeitig aufkam, sagte mir, dass ich meine durch das Gift erworbenen Fähigkeiten allzu sehr beanspruchte, um unbemerkt zu bleiben. Die Wirkung des Pfeils von vorhin ließ so schnell nach?
Vor Anspannung hatte ich einen Knoten im Magen, bis ich endlich den Fuß auf die breite, überdachte Vordertreppe setzte. Mit angehaltenem Atem blieb ich im offenen Eingang stehen und wartete auf die Aufforderung, mich zu erkennen zu geben. Nichts. Besorgt blickte ich zu Banner zurück, der sich beim Geruch von Garretts Wachen ängstlich geduckt hatte. Ich konnte ihn nicht mitnehmen. »Bleib«, sagte ich bestimmt und rückte vorsichtig einen Schritt von ihm ab. Er winselte. Ich nahm seinen schweren Unterkiefer in beide Hände und beugte mich dicht über sein Gesicht. »Bleib«, sagte ich erneut und schüttelte sacht seinen Kopf. Mir wurde schwindlig, aber er ließ sich nieder und blieb an der Tür sitzen.
Ich konnte wieder klar sehen und richtete mich unsicher auf.
Sollte ich meine Fähigkeiten verstärken und es Jeck damit leichter machen, mich bewusstlos zu schießen, falls er mich fand, oder sollte ich möglichst wenig Gift im Körper haben und mich auf mein Glück verlassen? Ich hatte das Gefühl, dass diese Frage alle Spieler irgendwann quälte, und meine Finger fuhren an den Haarknoten und zählten, was mir noch blieb. Es waren nicht genug Pfeile, um mich sicher zu fühlen, und da Banner offenbar geneigt war, brav an seinem Platz zu bleiben, wiederholte ich das Kommando noch einmal besonders streng und ging dann hinein. Solange er dort saß, würde ich zumindest gewarnt sein, falls jemand durch die Tür kam.
Die Treppe zu den Zellen lag im Aufenthaltsraum mitten im Gebäude. Auf dem Weg dorthin musste ich an zwanzig offenen Stockbetten vorbei. Aber es war niemand da. Alle suchten nach mir. Leider war ich mir ziemlich sicher, dass die Situation unten im Kerker anders aussehen würde.
Mir sträubten sich die Härchen im Nacken, während ich durch den offenen Kasernenraum lief, das Blasrohr schussbereit. Als ich endlich die Treppe erreichte, zitterte ich. Unwillkürlich rümpfte ich die Nase über den widerlichen Gestank, der aus der Öffnung heraufstieg. Am oberen Treppenabsatz hätten zwei Wachen stehen sollen, doch den murmelnden Stimmen nach zu schließen, hatten sie sich leichtsinnigerweise unten zu den anderen gesellt.
Ich nahm meine Mütze ab und stopfte sie mir hinten in den Hosenbund, ehe ich mich in die Dunkelheit hinabschlich. Nur ein schwacher Schimmer wies mir den Weg. An den Öllampen
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