Topchter der Köingin Tess 1
versehentlich.
Duncan kam schwankend auf die Füße. Sein Gesicht war gerötet, und seine Augen tränten. »Du undankbares Gör!«, rief er und krümmte sich. »Ich wollte dir doch nur helfen.«
»Du bist ein dreckiger Lügner. Und wag es nie wieder, mir gegenüber die Stimme zu heben!«
Duncan verbeugte sich spöttisch, riss sich den lumpigen Hut vom Kopf und zog ihn rückwärts über den Boden. Er war immer noch rot im Gesicht. »Wie Ihr wünscht, Prinzessin.«
Mein Gesicht wurde eiskalt, und mein Zorn wich dem Schrecken. »Wie hast du mich genannt?«
»Prinzessin«, spottete er und forderte mich mit bitterem Blick dazu heraus, noch einmal das Messer nach ihm zu werfen. »Dafür hältst du dich offenbar: Du redest mit dieser albern vornehmen Aussprache, machst dir sechs Mal am Tag das Haar zurecht und kannst kein Quäntchen Dankbarkeit zeigen, wenn man dir hilft. Dieses Spielchen bringt dich vielleicht bei halb betrunkenen Kaufleuten und Fischern weiter, aber ich weiß, wer du bist.« Er zeigte mit dem Finger auf mich, und mir stockte der Atem. »Du bist eine Betrügerin und eine Diebin, kein bisschen besser als ich, also begrab endlich dein vornehmes Getue und schaufle Schoh wie wir anderen auch!«
»Eine Diebin und Betrügerin«, sagte ich und merkte selbst, wie meine Stimme zitterte. »Und wenn du mich je wieder anfasst, wirst du feststellen, dass ich außerdem eine Meuchlerin bin.«
Er verzog das schmale Gesicht zu einem gehässigen Grinsen, weil er das zweifellos für eine leere Drohung hielt. Er packte seinen Wasserschlauch aus und setzte eine gleichgültige Miene auf. »Ich suche uns Wasser«, warf er über die Schulter zurück und verschwand großspurigen Schrittes im Gebüsch am Rand der Wiese.
Aufgebracht und zornig befreite ich Ruß von Reitkissen und Zaumzeug und rieb sie ab. Sie riss den Kopf hoch und wieherte leise ob meiner allzu ärgerlichen Berührung und verzog sich zu Tuck, ehe ich fertig war. Ich musterte argwöhnisch Duncans Bündel und legte meine eigenen Sachen zurecht, um einen gewissen Platz für mich zu beanspruchen. Ich verließ mich darauf, dass die Pferde sich von einer saftigen, mit Bäumen umsäumten Wiese wohl nicht davonmachen würden, und begab mich auf die Suche nach Feuerholz.
Meine Knie fühlten sich an wie glühende Kohlen, als ich über die Wiese ging, in entgegengesetzter Richtung zu Duncan. Allmählich lockerten sich die Muskeln, und der Schmerz fühlte sich beinahe gut an. Feuerholz war nur eines meiner Ziele. Was ich wirklich wollte, waren Blüten von einem kleinen Nest Grannen-Aloen auf der Wiese, an einer Stelle, die fast den ganzen Tag von der Sonne beschienen wurde. Für frische Blüten war es noch zu früh, doch ich sammelte die vertrockneten von den hohen Blütenständen des vergangenen Jahres, die nun auf dem Boden lagen. Wenn man die gelben Blütenblätter trocknete und zu Pulver zerrieb, konnte man einen Tee daraus bereiten, der Schmerzen linderte und beruhigend wirkte. Heute Nacht würden sie mir allerdings nichts nützen, also steckte ich sie in Kavenlows kleine Tasche, die ich mir um die Taille gebunden hatte, und machte mich auf die Suche nach einer Weide.
Ich fand eine in einem Bachbett, das im Hochsommer vermutlich austrocknete, und schnitt mehrere Zweige und ein großes Stück Rinde ab. Auf dem Rückweg zum Lager sammelte ich Totholz auf, kaute kräftig auf einem saftigen Weidenzweig herum und dachte an den Mann aus dem Wirtshaus.
Am Rand der Wiese blieb mein Umhang an einem dornigen Zweig hängen und brachte mich abrupt zum Stehen. Entnervt ließ ich das Holz fallen, befreite mich und blieb noch einen Moment stehen. Ich war erschöpft. Tief sog ich die abendkühle Luft ein und ließ den Blick über die Wiese schweifen. Die tote Vegetation vom letzten Jahr war bereits von Tau benetzt und wirkte im grauen Dämmerlicht dunkelviolett. Es war ausgesprochen kühl, aber es regnete nicht, und für solche Kleinigkeiten war ich schon dankbar.
Mir blieb der Mund offen stehen, als ich bemerkte, dass die Wiese leer war. »Wo sind die Pferde?«, flüsterte ich. »Duncan?«, rief ich, denn ich sah ihn nirgends. Dann wurde mir kalt. »Er hat sie mitgenommen«, hauchte ich.
Das Holz war vergessen. Ich rannte zum Lager, und vor lauter Furcht fühlte ich mich ganz unwirklich und entrückt. Hatte er mich wie eines seiner anderen Opfer ausgenommen? War er mir so lange gefolgt, bis er einfach alles stehlen konnte? Ich war kaum eine Tagesreise von der Stadt
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