Topchter der Köingin Tess 1
anderen Seite des Feuers. Der Stock, der mich gepiekst hatte, steckte zwischen seinen Fingern. Ich ließ die Hand von meinen Pfeilen sinken und zog mir die kratzige Wolldecke bis unters Kinn. Dann schlug ich die Beine unter und musterte blinzelnd mein Gegenüber.
Im trüben Morgengrauen sah er sogar noch zerlumpter aus als sonst. Von seinen Schultern hing ein brauner Umhang, den ich noch nicht an ihm gesehen hatte, mit schmutzig schwarzem Saum. »Morgen«, sagte er, ließ den Stock fallen und schob die Hutkrempe zurück. »Ich gehe die Pferde tränken. Ich dachte, du solltest das wissen.«
»Danke«, entgegnete ich und hustete dann, so kalt war die Luft. Die Vögel machten einen solchen Lärm, dass ich mich fragte, wie ich da weiterhin hatte schlafen können. Wortlos stand Duncan auf und trat zu Tuck. Er benutzte die rechte Hand kaum, während er den Wallach sanft dazu brachte, das Gebiss ins Maul zu nehmen. »Darf ich … deine Hand mal sehen?«, fragte ich.
Er zögerte. Dann ließ er Tucks Zügel los und ging neben mir in die Hocke. Schweigend schob er sich das Hemd bis zum Ellbogen hoch. Ich beugte mich vor. Sein von der Sonne gebräunter Arm war immer noch geschwollen, und über Handfläche und Finger zogen sich hässliche rote und violette Streifen. Er ballte die vom Gift angeschwollene Hand zur Faust, verzog das Gesicht und öffnete sie wieder, wobei er immer noch kein Wort sagte.
»Schaffst du deine Kartentricks?«, fragte ich, denn ich war sicher, dass er es versucht hatte.
Sein Blick blieb auf seine Finger gerichtet, die er krümmte und streckte. »Nein.«
Seine Stimme klang völlig ausdruckslos, und ich senkte schuldbewusst den Blick. »Das wird wieder besser, aber vielleicht werden deine Finger immer langsam sein, wenn du müde bist.« Zaghaft fragte ich: »Möchtest du etwas Weidenrindentee?«
»Nein.« Er stand auf, wandte mir den Rücken zu und schob mit geübter Leichtigkeit das Gebiss in Ruß’ Maul. Das Pferd kaute laut darauf herum.
Zitternd beugte ich mich vor, um meine Stiefel zu schnüren. Ich fühlte mich elend, weil ihm das zugestoßen war, aber zumindest würde er mir jetzt nicht mehr folgen. »Du ziehst also landeinwärts weiter?«, bemerkte ich und wusste nicht recht, ob ich froh war, ihn loszuwerden. Ich war nicht gern allein.
Er wandte sich um, und die scheußlichen Bartstoppeln konnten seine Überraschung nicht verbergen. »Gehen wir nicht nach Saltolz?«
»Wir?« Ich blinzelte erstaunt. »Nach dem, was gestern Abend geschehen ist? Ich hätte dich beinahe umgebracht!«
»Tatsächlich …« Seine Bewegung en waren steif, vor Stolz, vermutete ich, als er Tuck die Satteldecke auflegte, gefolgt von meinem Sattel. Er rieb sich die rechte Schulter, ehe er den Gurt anzog, als fühlte er eine Schwäche darin.
»Du wirst nichts davon haben, wenn du mir hilfst«, sagte ich. »Nimm einfach meinen Sattel und geh.« Kläglich zog ich die Nadeln aus meinem Haar und ließ es offen herabfallen. »Kavenlow kann ich auch allein finden«, flüsterte ich, legte mein schwarzes Haarband beiseite und zog grob einen Kamm durch meine Locken.
Duncans raues, bellendes Lachen ließ mich aufblicken. Er lacht mich aus? Diese Unverfrorenheit!
»Tess«, sagte er und blieb neben Tucks Kopf stehen. »Nehmen wir einmal an, du bist tatsächlich der Lockvogel für die Prinzessin und keine Verrückte.« Sein Blick huschte zu den Pfeilen neben mir, dann zu der Peitsche an meiner Taille. »Du schuldest diesem Kanzler rein gar nichts. Der König und die Königin haben dich nur gekauft, damit ihre Tochter am Leben bleibt. Und du willst ihr jetzt helfen? Wach auf«, sagte er. »Dein Traum ist vorbei.«
»Sie haben mich geliebt«, erwiderte ich hitzig und überraschte mich selbst damit, dass ich sie verteidigte, obwohl ich während der vergangenen drei Tage oft das Gleiche gedacht hatte.
»Sie haben dich benutzt.« Sein schmales Gesicht wirkte hart. »Weißt du denn nicht, wie diese Geschichte weitergeht? Die verschollene Prinzessin kehrt zurück, rettet mit Hilfe eines Ziegenhirten das Königreich, heiratet dann ihren Liebsten, und sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Da ist kein Platz für dich!
Wenn du Glück hast, verbannen sie dich nur aus dem Königreich. Wenn nicht, sperren sie dich weg, und du wirst nie wieder einen Fuß in die Welt außerhalb der Palastmauern setzen. Du«, sagte er mit glühendem Blick und deutete dabei auf mich, »solltest so schnell und so weit fortlaufen, wie du kannst. Und
Weitere Kostenlose Bücher