Topchter der Köingin Tess 1
Seine Stoppeln hatten sich zum Ansatz eines scheußlich aussehenden rotbraunen Bartes ausgewachsen, der über die Beule an meiner Stirn schabte. »Aufhören!«, protestierte ich, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. Er hatte mich vermisst. Außer Heather hatte mich vermutlich noch nie jemand vermisst.
»Dir ist nichts passiert!«, sagte er und hielt mich lächelnd auf Armeslänge von sich weg. »Ich dachte, ich hätte dich verloren.«
Verlegen ließ ich den Blick durch den Schankraum gleiten, als der Lärm wieder anschwoll. Der Wirt hatte die Gelegenheit zur Flucht genutzt und stand nun an einem der Tische, doch mir fiel auf, dass er uns im Auge behielt.
»Was ist geschehen?«, fragte Duncan und versuchte, mich zu seinem Hocker zu geleiten. »Wer war das? Wie lange hast du schon da gestanden?« Stirnrunzelnd streckte er die Hand nach meiner Schläfe aus. »He. Du bist verletzt.«
»Nicht.« Nervös wich ich zurück, und die Runzeln auf seiner Stirn wurden tiefer. »Ist nur eine Beule.«
Er hielt mich an den Schultern fest und musterte meine Stirn aus nächster Nähe. Sein Blick wurde hart. »Er hat dich geschlagen?«
Ich blickte auf, erstaunt über die Wut in seiner Stimme. »Ja«, sagte ich. »Und er hat mich gefesselt und sich auf mich gesetzt. Aber ich bin ihm entwischt – mit deinem Pferd und seinem eigenen –, also sind wir wohl quitt.«
Hoffnungsvoll leuchteten Duncans Augen auf. »Tuck? Ist er draußen?« Er eilte zur Tür, und ich blieb drei Herzschläge lang ungläubig stehen. Der Mann ist so hektisch wie sein Pferd, dachte ich entnervt. Ich folgte ihm auf die Straße hinaus und versuchte währenddessen, den Rest meiner Würde vom Boden zu kratzen.
Ich kniff die Augen gegen das Tageslicht zusammen und sah, wie Duncans flinke Hände begierig über Tucks Fell strichen. »Hallo, mein Junge«, sagte er freudestrahlend. »Sieh dich nur an. Keinen Kratzer hast du. Dummer Kerl. Es war doch nur ein Baum.« Er tätschelte Tuck liebevoll den Hals, und ich fragte mich säuerlich, ob Duncans verzweifelte Suche eigentlich mir gegolten hatte oder seinem Pferd.
»Tess«, sagte er ernst, »ich danke dir. Ich habe ihn als Fohlen aufgezogen, weil er zur falschen Zeit gekommen war und die Stute ihn nicht annahm. Ich wüsste nicht, wo ich je wieder ein Pferd wie ihn finden sollte.«
»Gern geschehen«, sagte ich und verzieh ihm, dass er mich eben einfach in einer Taverne hatte stehen lassen.
»Was ist geschehen?«, fragte er, als ich begann, seine Sachen von Ruß abzuladen und sie Tuck aufzuschnallen. »Wer war der Kerl, der dich entführt hat?« Er beugte sich dicht zu mir heran, bis ich den Rauch aus dem Wirtshaus an ihm riechen konnte. »Du hast sein Pferd gestohlen?«, fragte er aufgebracht. »Tess, du musst endlich damit aufhören.«
Meine Angst flammte wieder auf. »Ich muss weiter«, sagte ich und schnallte mein Bündel auf dem schwarzen Wallach fest.
»Gute Idee.« Er nahm seine restlichen Sachen von Ruß’ Rücken und belud ruhig und geschickt seinen Tuck. »Und jetzt frage ich dich zum dritten Mal: Wer war das? Glaubst du, er wird dir folgen?«
Ich wollte ihm helfen, zögerte dann aber, weil ich nicht recht wusste, was ich mit Jecks Sachen anfangen sollte. Jetzt, da ich meine eigenen wiederhatte, erschien es mir nicht richtig, sie zu behalten. »Er folgt mir ganz sicher«, sagte ich und spürte ein drängendes Kribbeln. »Er ist ein …« Eine neu erworbene Vorsicht hielt mich davon ab, ihn als Spieler zu bezeichnen. »Er ist der Hauptmann von König Edmunds Garde«, flüsterte ich, wusste aber selbst nicht, inwieweit das eine Lüge oder auch die Wahrheit war. »Es war pures Glück, dass ich ihm entkommen konnte, und er ist so wütend wie ein Stachelrochen auf einem Deck. Ich brauche dringend ein Schiff, das mich über die Bucht bringt. Ich muss Kavenlow finden.«
»Uns.« Duncan schob Tucks knochigen Kopf aus dem Weg, um mich anzusehen. »Du musst ein Schiff finden, das uns über die Bucht bringt.«
Entschlossen stand er da und kniff im Sonnenschein die Augen zusammen. Er war zwar so groß wie Jeck, aber nicht so kräftig, dafür flink und geschickt. Seine Hand war noch geschwollen von dem Pfeil, der ihn beinahe getötet hätte, und so sah er in meinen Augen sehr verletzlich aus. »Duncan«, protestierte ich leise, »es geht hier nicht um eine deiner Maschen. Er wird nicht aufgeben, bis er mich gefunden hat. Ich weiß, ich habe dir alles dafür versprochen, dass du mir zum Stadttor
Weitere Kostenlose Bücher