Topchter der Köingin Tess 1
hatte waschen können, starrte ich dermaßen vor Dreck, dass ich mich selbst kaum mehr aushielt.
Er brummte zur Antwort, nahm meinen Sattel und hängte ihn zu den anderen über einen Balken. »Wir sehen hier nicht oft Sattlerarbeit aus der Hauptstadt«, sagte er. »Jedenfalls nicht zum Verkauf.« Das letzte Wort betonte er, als erwarte er mein Geständnis, dass der Sattel nicht mir gehörte.
Die vergangene Nacht war grässlich gewesen. Duncan hatte sich nicht mehr an unserem letzten Lagerplatz aufgehalten. Allein und niedergeschlagen hatte ich die Pferde fast die ganze Nacht hindurch dahintrotten lassen. Der Mond drang nicht durch die Wolken, was den Weg noch schwieriger machte. Als ich endlich anhielt, wollte ich es nicht riskieren, Feuer zu machen. Vor lauter Kälte und Schmutz, der Trauer um meine toten Eltern und der Angst, jeden Augenblick von Jeck eingeholt oder von Wölfen angefallen zu werden, tat ich kein Auge zu. Am Morgen zog ich weiter, ehe die Sonne aufgegangen war. Ich war schrecklich müde, würde aber ohnehin keine Ruhe finden, bis ich auf einem Schiff über die Bucht segelte.
Jetzt holte ich tief und langsam Luft, sog den Duft von Heu und Pferden tief in mich hinein und löste damit meine ängstliche Anspannung. Ich mochte Ställe. Oft hatte ich mich in den Stallungen des Palastes versteckt, um meinen Schulstunden zu entgehen. Schließlich hatte Kavenlow erkannt, was ich da tat, und stattdessen Pferdepflege und Reitstunden angesetzt. Er hatte mich bis zur völligen Erschöpfung arbeiten lassen, so dass ich tags darauf bereitwillig mit Papier und Tinte sitzen geblieben war. Rückblickend erkannte ich, wie geschickt er mit dieser Überzeugungstaktik gewesen war; stets hatte er irgendwie seinen Willen durchgesetzt, ohne sich je an meine Eltern wenden zu müssen, um mich zum Gehorsam zu zwingen.
Eine ungebetene Erinnerung drängte sich mir auf: Kavenlow kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und lächelte stolz, als ich mein Pony zum ersten Mal über einen Zaun springen ließ. Damals war ich sieben gewesen und so überzeugt von mir, als hätte ich soeben die Höllenschluchten übersprungen. Der Stallmeister räusperte sich, und ich riss mich zusammen.
»Vielleicht könntet Ihr mir helfen«, sagte ich. »Ich versuche, meinen Vater einzuholen. Großer Mann mit grauem Bart, auch zu Pferde? Gut gekleidet. Kann höchstens ein, zwei Tage her sein.«
»Hab ihn nicht gesehen«, brummte der Mann und rieb mit einem schmuddeligen Lumpen an meinem Sattel herum.
»Danke«, sagte ich und wich langsam zurück. »Ich komme vielleicht später wieder, um Futter für meine Pferde zu kaufen.«
»Bei mir bekommt Ihr es billiger als in den Gasthäusern in der Stadt«, sagte er begierig.
Ich nickte und trat aus der stillen Wärme des Stalls hinaus in den späten Nachmittag. Jecks Pferd stellte die Ohren auf und bettelte mit einem Blick darum, am mächtigen Kiefer gekratzt zu werden. Das alberne Vieh streckte den Hals wie eine riesige Katze und stöhnte leise, als ich mit den Fingernägeln durch das steife Fell unter dem Kinn schabte. Als ich die Hand wegzog, klebten Staub und Schweiß unter meinen Fingernägeln. Seufzend blickte ich darauf hinab. Ich wünschte mir nur eine gute Mahlzeit und ein Bad. Aber ich fürchtete, Jeck würde zu Fuß nicht wesentlich langsamer unterwegs sein als zu Pferde, und hatte daher das Gefühl, dass mich jeden Augenblick ein Pfeil treffen könnte.
Ich nahm die beiden Pferde am Zügel und führte sie in den Ort hinein. Die Hafenstraße war unbefestigt und verbreiterte sich nur an der Stelle, wo ein Steg zwischen dicken Holzpfeilern in die Bucht hinausragte; eine Handvoll Schiffe ruhten am Pier. Mit Muscheln verkrustete Fischerboote lagen auf dem felsigen Strand. Die meisten waren leer und verlassen, da ihr Fang schon verarbeitet worden war, doch bei einem Nachzügler herrschte noch Betrieb. Möwen und Krähen umkreisten das Boot in einer gierigen Wolke und stießen auf die Fischabfälle herab, während der Mann seinen Fang ausnahm. Die rauen Schreie der Vögel und das Gebell der Hunde, die nach ihnen sprangen, waren furchtbar laut. Es sah so aus, als hätte die Flut fast den Höhepunkt erreicht.
Jecks Pferd wieherte plötzlich laut auf, und ich erschrak. Ein anderes Pferd antwortete ihm. Mein Blick glitt zum Hof eines Gasthauses – »Zum Seekranken Pony« stand auf dem Schild, und darunter prangte das Bild eines jämmerlichen Kleppers mit aufgerissenen Augen, der grünen Schaum spie.
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