Tor der Daemmerung
Jahre alten Milchkarton. Die Schlafzimmer waren ausgeräumt, weder Kleidung noch Decken oder Bettzeug waren übrig geblieben, doch der frische Urin- und Fäkaliengestank ließ darauf schließen, dass sich unter dem Bett ein Fuchs oder vielleicht eine Waschbärfamilie eingenistet hatte.
Ich kehrte in den Flur zurück und fand das Badezimmer. Der Spiegelschrank über dem Waschbecken war kaputt, aber in seinem Inneren entdeckte ich einen Karton mit Wattepads und eine verstaubte Stützbandage. Dahinter versteckten sich eine Tablettenschachtel und eine große braune Flasche, die noch halb gefüllt war. Angestrengt starrte ich auf das verblasste Etikett und schickte einen stummen Dank an Kanin, weil er darauf bestanden hatte, meine Lesekünste zu verbessern. Die braune Flasche enthielt etwas, das ich jetzt dringend brauchte: Wasserstoffperoxid – zur Oberflächendesinfektion und zur Reinigung kleinerer Wunden .
Da ich den Tabletten nicht ganz traute, ließ ich sie im Schrank und nahm nur die Watte, die Bandage und das Peroxid mit. Dann schnappte ich mir ein verstaubtes Handtuch und ging zurück zu Zeke. Er hatte sich inzwischen aufrecht hingesetzt und versuchte gerade, seinen Druckverband zu lösen. Doch seine verkrampfte Miene und die Schweißtropfen auf seiner Stirn deuteten daraufhin, dass es ihm nicht besonders gut gelang.
»Hör auf«, befahl ich ihm, ging neben ihm in die Hocke und legte meine Fundstücke ab. »So machst du es nur schlimmer. Lass mich das machen.«
Er warf mir einen misstrauischen Blick zu, aber letzten Endes gewannen Erschöpfung und Schmerz die Oberhand und er lehnte sich zurück. Ich legte das Bein frei, wischte mit dem Handtuch das Blut fort und schüttete anschließend großzügig Desinfektionsmittel in die Wunde. Zeke biss die Zähne zusammen und gab einen Schmerzenslaut von sich, als die klare Flüssigkeit mit der offenen Wunde in Berührung kam und anfing, weißen Schaum zu bilden.
»Tut mir leid«, murmelte ich, als er gequält den Atem ausstieß. Nachdem ich die letzten Blutreste abgewaschen hatte, legte ich Wattepads auf die Wunde und wickelte die Bandage darum.
»Allison.«
»Was?«, fragte ich schroff, ohne hochzusehen.
Zeke zögerte, vielleicht weil er bemerkte, in welcher Stimmung ich war. Dann fragte er leise: »Was ist mit den anderen? Hast du … ist jemand …?«
Eigentlich hatte ich gehofft, er würde nicht so schnell auf das Thema zurückkommen. Angespannt erwiderte ich: »Nein. Sie sind weg. Jackals Männer haben sie alle mitgenommen.«
»Wirklich alle?«
Im ersten Moment wollte ich lügen oder die Wahrheit zumindest etwas beschönigen, aber Zeke war auch immer ehrlich zu mir gewesen. Ich musste es ihm sagen, selbst wenn es verdammt schwer war. »Nicht alle«, gab ich widerstrebend zu. »Dorothy ist tot.«
Er sagte nichts. Erst, nachdem ich den Verband fertig hatte, blickte ich hoch und sah, dass er den Kopf gesenkt hielt und eine Hand vor die Augen presste. Leise sammelte ich das Verbandsmaterial ein und beobachtete verlegen, wie er mit seiner Trauer kämpfte. Dabei gab er keinen Laut von sich: kein Wort, kein Schluchzen, gar nichts. Als er die Hand sinken ließ, waren seine Augen klar und er verkündete mit harter Stimme: »Ich werde ihnen folgen.«
»Aber ganz sicher nicht allein.« Energisch stellte ich das Peroxid und die Schachtel mit den Wattepads auf dem maroden Tisch ab. »Oder glaubst du etwa, du könntest es mit vierzig Banditen aufnehmen, noch dazu mit dieser Verletzung? Ich werde mitkommen.«
Wütend sah er mich an. Seine blauen Augen funkelten in der Dunkelheit, und auf seiner Brust schimmerte das silberne Kreuz. Es war nicht schwer zu erkennen, wie sehr er mit sich rang: Ich war ein Vampir und damit noch immer ein Feind, jemand, dem man nicht trauen konnte. Dennoch hatte ich ihm gerade das Leben gerettet und war zugleich seine einzige Chance, um die anderen zu retten. Ich musste an die Narben auf seinem Rücken denken, an die Glaubensgrundsätze, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes eingeprügelt worden waren, und fragte mich, wie weit Jebs Indoktrination wohl reichte.
Schließlich nickte er widerwillig, eine schmerzerfüllte Geste, die ihn seine gesamte Kraft zu kosten schien. »Also gut«, murmelte er. »Ich nehme jede Hilfe an, die ich kriegen kann. Aber …« Er richtete sich auf und kniff die Augen zusammen, bis sie zu den eisigen blauen Schlitzen wurden, die ich schon in der Festung der Archers an ihm gesehen hatte. »Wenn du versuchst, mich
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