Tor der Daemmerung
erlebte ich eine abgrundtiefe Urangst, da ich mich hier einer der größten Gefahren für einen Vampir gegenübersah. Feuer konnte mich vernichten. Der Wind, der durch das Dach und die kaputten Fenster hereindrang, trieb glühende Holzstückchen und brennende Stofffetzen durch die Luft. Ein Stück vom Vorhang landete auf meinem Ärmel. Mit einem Fauchen streifte ich ihn ab.
Am Rand der Bühne zerschmetterte ich meine letzte Lampe, dann floh ich die Leiter hinauf, die glühende Hitze immer im Rücken. Das Brüllen der Flammen wurde von ersten alarmierten Schreien übertönt, als die Banditen kopflos durch die Gegend rannten. Offenbar hatten sie keine Ahnung, was sie tun sollten. Einige retteten sich ins Wasser, andere versuchten mit allem, was sie finden konnten, den Brand zu löschen, doch die Flammen hatten bereits auf Wände und Decke übergegriffen und breiteten sich auf dem öligen Holz unaufhaltsam aus.
Als ich das Ende der Leiter erreichte, sah ich Zeke, der gerade die letzten Gruppenmitglieder durch die Tür am Ende des Stegs scheuchte. Er drehte sich um, und unsere Blicke begegneten sich. Wind und Flammen tosten um uns herum, zerrten an Haaren und Kleidung, doch in diesem Moment sahen wir nur einander. In seinen Augen lag Bedauern, weil er mich nicht begleiten konnte, aber auch wilde Entschlossenheit, die anderen lebend hier rauszubringen … und ein tiefes Vertrauen, das ich bei ihm noch nie gesehen hatte. Mein kurzes Nicken wurde ernst erwidert, dann verschwand er durch die Tür.
Ich wandte mich ab. Das Feuer breitete sich schneller aus, als ich es für möglich gehalten hatte, nun trug der Wind die ersten Funken zu den gepolsterten Sitzen, die sofort anfingen zu brennen. Mir gegenüber klaffte ein großes Loch in der Außenmauer und gab den Blick auf halbverfallene Gebäude frei. Hinter dem Rauch schimmerte die nächtliche Skyline der Stadt.
Ich rannte bis zum Ende des Stegs, setzte zum Sprung an und flog über das Wasser hinweg. Auf der anderen Seite prallte ich gegen die Mauer. Halt suchend klammerte ich mich an Holzbalken und losem Putz fest. Unter meiner einen Hand gaben die Steine nach und verschwanden platschend in der Dunkelheit, während ich mich Stück für Stück weiter nach oben zog. An der Außenseite der Mauer gab es genug Möglichkeiten, sich festzuhalten, sodass ich mühelos aufs Dach klettern und von dort aus den Blick über die Stadt schweifen lassen konnte.
Überall ragten ausgehöhlte Gebäuderuinen auf, finstere, bröckelnde Skelette, die in den Himmel hinaufstrebten. Jeden dieser Türme unterzog ich einer gründlichen Prüfung, immer auf der Suche nach Anzeichen dafür, dass er Jackals Unterschlupf beherbergen könnte. Doch sie sahen alle gleich aus, kaputt und verödet. Ich fluchte leise. Wie sollte ich den alten Mann finden, wenn in dieser riesigen …
Abrupt hielt ich inne. Plötzlich wurde die Dunkelheit von einem einzelnen Licht durchbrochen, als hätte sich ein Stern hierher verirrt. Genau an der Spitze eines massigen, schwarzen Turms leuchtete etwas.
Der Turm eines Vampirkönigs. Mit etwas Glück wartete dort Jebbadiah auf mich, lebendig und unversehrt. Und mit noch etwas mehr Glück würde ich dort nicht einen gewissen Banditenkönig vorfinden. Dann könnte es mir mit sehr, sehr, sehr viel Glück gelingen, den alten Mann zu retten und ihn zurückzubringen, ohne dabei getötet zu werden – weder von Jackal noch von Jebbadiah Crosse.
22
Auf dem Weg zu Jackals Turm stieß ich auf keinerlei Widerstand, wahrscheinlich waren sämtliche Banditen mit dem brennenden Gebäude beschäftigt. Ich hoffte darauf, dass dieses Spektakel groß genug war, um von Zekes Flucht abzulenken, sodass er alle in Sicherheit bringen konnte.
Als ich den Turm erreichte, konnte ich immer noch den flackernden Schein des Brandes sehen. Der Wind trieb dicke Wolken aus glühenden Holzresten in die Höhe, außerdem waren die Flammen auf einige angrenzende Gebäude übergesprungen. Es überraschte mich, wie schnell sich das Feuer in einer derart durchnässten Stadt ausbreiten konnte.
Eingang und Sockelgeschoss von Jackals Turm waren überflutet, aber über einige Laufplanken hinweg führten Brücken in die Eingangshalle. Hier schlug das hüfthohe Wasser sanft gegen die Stege und einen verrotteten Empfangstresen. Vorsichtig schlich ich mich in den großen, dunklen Raum. Auf dem Steg über dem Tresen blieb ich kurz stehen und sah mich um. Wie gelangte man von hier aus in die oberen Stockwerke? Ging das
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