Tor der Daemmerung
auf, holte ein Skalpell heraus und kam mit dem funkelnden Stahl in der Hand wieder auf mich zu. Sein Blick war eiskalt, er schien mich gar nicht gehört zu haben. »Lass dies meine letzte Buße sein«, murmelte er geistesabwesend. Ich versuchte verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen und zog mich an einem der Arbeitstische hoch. »Eden ist verloren, Ezekiel ist verloren, die Heilung der menschlichen Spezies ist verloren. Ich habe versagt, aber wenigstens werde ich einen Teufel mit mir in die Hölle nehmen. Zumindest das kann ich noch tun.«
Ich umklammerte meinen Bauch und wich stolpernd vor ihm zurück. Der Drang, mein Schwert zu ziehen, war nahezu unwiderstehlich, aber ich zwang mich dazu, dem alten Mann ins Gesicht zu sehen. »Heilung?« Hastig brachte ich einen der Arbeitstische zwischen uns. »Welche Heilung?« Er antwortete nicht, sondern umging gelassen das Hindernis, das Skalpell locker ausgestreckt. »Dann hatte Jackal also recht«, riet ich. »Du kennst wirklich ein Heilmittel gegen das Verseuchtenvirus. Und du hast es der Menschheit die ganze Zeit vorenthalten.«
»Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Vampir«, rügte Jeb mit etwas mehr Gefühl in der Stimme als bisher. »Es gibt kein Heilmittel, noch nicht. Es existieren nur Fragmente, vereinzelte Informationen, Resultate fehlgeschlagener Experimente, die Jahrzehnte alt sind.«
»Du wusstest von den Versuchen an Vampiren«, folgerte ich. Über die Röhrchen und Glasbecher hinweg starrte Jeb mich an und ließ die Arme sinken. »Woher?«, bohrte ich weiter. »Warst du dabei? Hast du in New Covington gelebt, bevor es zur Vampirstadt wurde? So alt bist du doch noch gar nicht.«
»Mein Großvater gehörte der Forschungsgruppe an, die nach dem Heilmittel suchte«, erklärte Jeb mit ausdrucksloser Stimme. »Er war der Kopf des Ganzen, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Irgendwann entdeckte er, dass Vampirblut der Schlüssel zu einem Mittel gegen die Rote Schwindsucht sein könnte. Und er hielt es für notwendig, mit lebendigen Exemplaren zu experimentieren. So hat er die anderen schließlich dazu überredet, einen Vampir zu dem Projekt hinzuzuziehen.«
Ich lehnte mich gegen den Tisch. Langsam ließ der Schmerz in meinem Bauch nach. Dafür wurde der Hunger immer stärker. Ich brauchte Blut, und hier war niemand außer Jeb. Krampfhaft klammerte ich mich an die Tischkante und versuchte mich auf die Worte des alten Mannes zu konzentrieren statt auf seinen dröhnenden Herzschlag.
»Diese Entscheidung war ihr Untergang«, fuhr Jeb tonlos fort. Seine Augen waren leer, sie wirkten wie stahlgraue Spiegel. »Der Hochmut eines Mannes sorgte dafür, dass die Verseuchten entstanden. All das geschah, weil ein Mann sich mit einem Dämon einließ. Dem wahrhaft Bösen kann nichts Gutes entspringen, und am Ende holte es sie alle ein: Die Dämonen, die sie erschaffen hatten, entkamen und töteten sie alle, das Labor brannte bis auf die Grundmauern nieder. Doch vor seinem Tod sorgte der leitende Wissenschaftler dafür, dass all seine Erkenntnisse festgehalten und an seinen Sohn übergeben wurden.«
»An deinen Vater. Der sie wiederum dir hinterlassen hat.« Ich dachte daran, wie Kanin die Ruinen des alten Krankenhauses nach etwas durchsucht hatte, das er niemals dort gefunden hätte. Jeb gab keine Antwort, aber das allein sprach Bände. »Das ist der wahre Grund für deine Suche nach Eden. Du brauchst einen Ort, an dem du diese Untersuchungsergebnisse studieren und das Heilmittel entwickeln kannst.«
»Im Falle meines Todes wäre es auf Ezekiel übergegangen«, murmelte Jeb. Ein Ausdruck tiefen Schmerzes huschte über sein Gesicht. »Doch er ist nicht mehr, und es ist niemand mehr übrig. Also wird dieses Wissen mit mir sterben. Ich werde nicht zulassen, dass es einem Teufel in die Hände fällt.«
»Zeke lebt noch, Jeb! Sie alle leben!« Frustriert starrte ich ihn an. Am liebsten hätte ich ihm die Wahrheit mit Gewalt eingeprügelt. »Hör mir doch zu! Zeke und ich sind Jackals Männern bis hierher gefolgt. Wir haben die anderen gerettet und als Ablenkungsmanöver ein Gebäude in Brand gesteckt. Inzwischen haben sie die Stadt wahrscheinlich schon verlassen. Du kannst es immer noch nach Eden schaffen, wenn du nicht länger auf stur schaltest und mir endlich zuhörst!«
Jeb blinzelte und seine starre Fassade bekam einen kleinen Sprung. »Ezekiel … lebt?«, flüsterte er, schüttelte dann aber verzweifelt den Kopf. »Nein. Nein, du lügst, Dämon. Ezekiel
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