Tor der Daemmerung
der Klinge und halte den Blick immer auf den Oberkörper deines Gegners gerichtet, nicht auf seine Waffe.«
»Ich weiß ja nicht einmal, was ein Holzfäller ist«, knurrte ich. Mit einem gereizten Blick signalisierte er mir, erneut anzugreifen.
Ich umklammerte den Schwertgriff und entspannte meine Muskeln. Kämpfe nicht gegen das Schwert an , hatte Kanin mir unzählige Male eingebläut. Das Schwert weiß bereits, wie es zuschlägt, wie es tötet. Wenn du dich verspannst und nur mit brutaler Kraft agierst, werden deine Hiebe langsam und schwerfällig sein. Entspanne dich und bewege dich im Einklang mit dem Schwert, nicht dagegen.
Diesmal ließ ich mich beim Angriff von meiner Waffe führen und schoss wie ein silberner Blitz nach vorne. Kanin machte einen seitlichen Ausfallschritt und zielte wieder mit seinem Stab auf meinen Kopf, doch ich machte eine halbe Drehung, fing den Stiel mit meiner Waffe ab und schlug ihn beiseite. Ohne zu zögern, drängte ich weiter vor und setzte die Klinge an Kanins Hals. Der ließ sich nach hinten fallen, um einem Schnitt durch die Kehle zu entgehen.
Während er sich mit leicht überraschter Miene abrollte, konnte ich mich nicht rühren. Ich war mindestens so verblüfft wie er. Alles war so schnell gegangen; ich hatte nicht einmal Zeit gehabt, über meinen nächsten Schritt nachzudenken, bevor ich ihn machte.
»Gut!« Kanin nickte anerkennend. »Jetzt spürst du den Unterschied, oder? Deine Bewegungen sollten fließend und leicht sein – du musst nicht immer auf alles einprügeln, um es zu töten.«
Mit einem zustimmenden Nicken musterte ich mein Schwert. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass wir zusammengearbeitet hatten und ich nicht einfach nur irgendein Stück Metall herumschwenkte.
Kanin schleuderte den Besenstiel in eine Ecke. »Und damit sollten wir es für heute gut sein lassen«, verkündete er, woraufhin ich verwirrt die Stirn runzelte.
»Jetzt? Endlich habe ich den Dreh raus, und es ist noch früh. Warum aufhören?« Grinsend hob ich das Schwert und schleuderte ihm über die funkelnde Klinge hinweg meine Herausforderung entgegen: »Hast du etwa Angst, ich könnte zu gut werden? Übertrifft die Schülerin womöglich ihren Meister?«
Er zog zwar eine Augenbraue hoch, doch abgesehen davon blieb seine Miene unverändert. Ich fragte mich, ob er in seinem gesamten Dasein als Untoter wohl jemals gelacht hatte, richtig gelacht. »Nein«, antwortete er schließlich und scheuchte mich aus dem Raum. »Heute Nacht gehen wir auf die Jagd.«
Ich schob das Katana in die Scheide, die ich auf dem Rücken trug, und beeilte mich, ihm zu folgen. In meinem Inneren rangen Aufregung und Ablehnung miteinander. Seit dem Zusammenstoß mit den Vampiren, der nun schon über drei Wochen zurücklag, hatten wir das Krankenhausgelände nicht mehr verlassen. Durch die Tunnel zu gehen war jetzt zu gefährlich, und auch nach oben wagten wir uns nicht, da uns dort jeder sehen konnte. Vor ungefähr zwei Wochen hatte Kanin mir beim Aufwachen eine Thermoskanne überreicht, die zur Hälfte mit bereits auskühlendem Blut gefüllt gewesen war, und ich hatte mich genährt. Er hatte mir nicht verraten, wo er es herhatte, aber das Blut schmeckte dünn und schmutzig und roch irgendwie nach Maulwurfsmensch.
Ich konnte es kaum erwarten, die feuchten Zimmer und beengenden Korridore des Krankenhauses zu verlassen. Von Nacht zu Nacht wurde ich rastloser. Der Gedanke an die Jagd machte mich ganz kribbelig, aber gleichzeitig fürchtete ich, ich könnte mich wieder in diese knurrende, vom Hunger getriebene Kreatur verwandeln, zu der ich während der Nacht mit den Blood Angels geworden war. Ich hatte Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren und am Ende vielleicht sogar jemanden zu töten.
Und tief in meinem Inneren gab es noch den Teil, dem das völlig egal war. Das war das Erschreckendste daran.
Wir kletterten den Aufzugschacht hoch und liefen eilig durch das Viertel, immer aufmerksam und auf der Hut vor herumstreifenden Vampiren oder Wachen. Mehrere Male bog Kanin von der Straße ab und lotste mich in eine Gasse oder ein verlassenes Gebäude, wo wir in einer dunklen Ecke mit den Schatten verschmolzen. Einmal kamen drei Wachen so dicht an uns vorbei, dass ich bei einem von ihnen die Pockennarben auf der Wange erkennen konnte. Hätte er den Kopf gedreht und mit seiner Lampe in die Gasse geleuchtet, hätte er uns entdeckt. Bei einer anderen Gelegenheit war es ein Lakai mit zwei schwer bewaffneten Soldaten,
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