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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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Zahnlücke würde sie wahrscheinlich nicht mehr so selbstzufrieden herumstolzieren. Mühsam rang sie um Selbstbeherrschung und umklammerte dabei die Eintopfschalen so fest, dass ihre zarten Fingerknöchel weiß wurden. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte sie schließlich, was ich mit einem abfälligen Schnauben quittierte. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den Bogen in meiner Hand, grinste höhnisch und reckte dann angriffslustig das Kinn. »Glaubst du wirklich, du könntest etwas erlegen? Was weißt du denn schon von der Jagd? Wenn du meinst, Zeke mit dieser lächerlichen Angeberei zu beeindrucken, liegst du leider falsch.«
    »O ja, ein Reh zu erlegen, damit nicht alle aufgrund der absurden Paranoia eines Wahnsinnigen den Hungertod sterben, das ist natürlich reine Angeberei.« Genervt verdrehte ich die Augen. »Welch brillante Schlussfolgerung. Warum gehst du nicht zu Jeb und erzählst ihm das?«
    »Werd bloß nicht frech«, zischte Ruth und ließ alle Zurückhaltung fahren. »Du hältst dich für etwas ach so Besonderes, nur weil du aus einer Vampirstadt kommst. Meinst du etwa, ich sehe das nicht? Wie du weit weg von uns anderen schläfst? Wie du versuchst, möglichst mysteriös zu erscheinen und niemandem verrätst, wo du eigentlich hergekommen bist?« Hasserfüllt verzog sie den Mund. »Du willst doch nur Aufmerksamkeit – unsere genauso wie Zekes. Aber ich durchschaue deine Spielchen.«
    Jetzt lachte ich sie einfach aus. »Wow, du bist ja mal echt paranoid. Weiß Zeke eigentlich, was für eine Zicke du sein kannst?« Ich kicherte vor mich hin, während sie knallrot wurde. »Weißt du, für so etwas habe ich keine Zeit. Viel Spaß mit deinen wilden Theorien, und verspritze ruhig überall dein Gift. Ich werde jetzt jedenfalls etwas Sinnvolles tun. Solltest du vielleicht auch mal versuchen.«
    »Du bist ein Freak, hörst du?«, rief Ruth mir hinterher, als ich mich abwandte. »Irgendetwas verbirgst du vor uns, und ich werde schon noch herausfinden, was das ist!«
    Ich bemühte mich, diese Drohung zu ignorieren und lief mit schnellen Schritten aus dem Lager, den Blick bereits auf den Horizont gerichtet, um mögliche Beute zu erspähen. Nicht einmal daran denken wollte ich, wie es wäre, mich umzudrehen, ihr am Rande des Lagers aufzulauern, sie mit Gewalt in die Nacht hinauszuzerren und ihr die Kehle herauszureißen. Was ich nicht deshalb tun wollte, weil sie mich nervte – obwohl sie das natürlich tat, und zwar ständig. Sondern weil sie eine Bedrohung darstellte, und meine Vampirinstinkte mir rieten, sie zu töten, sie zum Schweigen zu bringen, bevor sie mich auffliegen ließ.
    Stattdessen versuchte ich, die Gedanken an Tod und Gewalt in meine aktuelle Aufgabe einfließen zu lassen. Endlich konnte ich wieder jagen! Als Erstes entdeckte ich eine Herde großer, zotteliger Tiere, die sich an einem flachen Teich drängte, entschied dann aber, dass sie zu groß für mich waren. Töten konnte ich sie sicherlich; zapfte man ihnen genug Blut ab, würden sie sterben wie jedes andere Lebewesen auch. Aber wenn ich mit einem dieser Riesenviecher über der Schulter ins Lager zurückkam, würde das sicher Fragen aufwerfen.
    Also streifte ich weiter durch die Landschaft, bis ich eine Gruppe kleiner Rehe fand, die auf einem grünen Hügelkamm graste. Ich legte den Bogen weg und schlich gegen den Wind über die Wiese, bis ich nah genug dran war, um das regelmäßige Auf und Ab ihrer Flanken zu sehen und das heiße Blut in ihren Adern zu riechen.
    Dann ging alles sehr schnell. Der kleine Bock, den ich mir ausgesucht hatte, wusste gar nicht, wie ihm geschah, bis ich mich auf ihn stürzte, und da war es bereits zu spät. Als ich in ihrer Mitte auftauchte, floh der Rest der Herde in alle Richtungen, doch ich packte das Reh am Geweih und riss seinen Kopf herum, sodass sein Genick brach und es sofort tot war.
    Zuckend fiel es zu Boden. Und obwohl ich wusste, dass das Blut dieses Tieres mir nicht helfen konnte, musste ich meine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, um ihm nicht meine Fänge in den Hals zu schlagen. Stattdessen hob ich es mir auf die Schultern und lief zu der Stelle zurück, wo ich den Bogen und den Köcher abgelegt hatte. Ich ließ den Kadaver fallen, schnappte mir einen Pfeil und rammte ihn so fest in den toten Körper, dass er zwischen den Rippen stecken blieb. Das war vielleicht paranoid, aber ich wollte nicht in Erklärungsnot geraten, weil das Reh ein gebrochenes Genick hatte, aber keine

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