Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
Vom Netzwerk:
liebsten gemacht wie die Ratten und sich zwischen Unrat und weggeworfenen Gegenständen versteckt – so wie er die frühen Jahre seiner Jugend verbracht hatte.
    Stattdessen streckte er das Schwert aus. Es war eine eindeutige Geste, eine Warnung, denn er beabsichtigte nicht, einen Gegner ohne ein Signal anzugreifen. Selbst wenn es der Hexer von Carcassonne war. Mit dem nächsten Atemzug schlug er zu.
    Er hatte auf den Hals gezielt, aufVelascos Schwachstelle. Der Hexer parierte blitzschnell. Die Klingen scharrten aneinander, trennten sich dicht über dem Boden. Funken fielen auf das Gleisbett. Sofort rissen beide die Schwerter wieder hoch. Ein erneuter Hieb, eine erneute Abwehr, schneller und härter als beim ersten Durchgang.
    Wie besessen schlugen sie aufeinander ein. Keiner wollte dem anderen Raum geben oder auch nur eine Handbreit zurückweichen. Metallisches Knallen erfüllte den Tunnel, ein Duett der Schwerter. Lucian musste höllisch auf seine Deckung achten, denn Velasco stieß wie eine Schlange zu. Er führte die Klinge immer wieder steil nach vorn, mit einer Wucht, die Kettenglieder und Stahlbänder gesprengt hätte. Keiner von ihnen trug jedoch eine Rüstung. Diesmal ging es um Leben und Tod.
    Plötzlich glitzerte Licht auf Lucians Schwert. Es war kein magisches Leuchten – es war der nächste Zug, der durch den Tunnel herandonnerte. Die Scheinwerfer erfassten die Kämpfenden. Ein schriller Pfiff gellte in Lucians Ohren, gefolgt von einem lauten Kreischen, als der Fahrer die Notbremsung auslöste. Er duckte sich unter der fauchenden Klinge des Gegners und sprang vom Schotterbett herunter. Mit beiden Händen fing er sich an der Mauer.
    Ein Scharren warnte ihn. Velascos Schwert kam senkrecht von oben, sein Gegner hatte auf seinen Kopf gezielt. Mit aller Kraft riss Lucian die Klinge nach oben. Die Wucht des Aufpralls war so hart, dass ihm sein eigener Arm ins Gesicht knallte. Betäubt ging er in die Knie. Der Zug raste dicht an ihm vorbei, der Drachenatem zerrte an ihm. Einen Augenblick lang konnte er nichts sehen, geblendet von den vorbeihuschenden Fenstern. Das Rattern und Quietschen schmerzte in seinen Ohren.
    Rotes Licht erfüllte den Tunnel. Der Zug kam zum Stehen – das begriff er erst, als es nicht mehr dunkel wurde.
    Velasco war fort. Einen grauenvollen Moment lang glaubte Lucian, der Zug hätte seinen Vater erfasst und mitgeschleift. Dann entdeckte er Blut auf seiner Klinge, ölig und zähflüssig wie Petroleum. Velascos Blut tropfte auf einen Metallstreifen zwischen den Gleisen und verbrannte dort. Der Geruch passte zum Gestank in den Tunneln.
    Weiter vorne waren aufgeregte Stimmen zu hören. Eine schwankende Laterne näherte sich. Lucian drehte sich um und rannte zurück in den Tunnel, aus dem er gekommen war. Durch das rote Leuchten konnte er eine Abzweigung erkennen, an der sich der Schienenstrang teilte. Rasch kletterte er in die nächste Röhre und fing an zu laufen.
    Diesmal lag eindeutig ein Ausgang vor ihm, ein halbrundes, weißes Licht. Eine Métro-Station. Auf einem Stadtplan hatte Ravenna ihm ein Dutzend solcher Haltestellen gezeigt. Sie lagen in der Nähe von Orten, die sie unbedingt besichtigen wollte. Einmal waren sie sogar mit der Bahn gefahren. Das war vor Beliars Auftauchen gewesen, lange vor diesem Albtraum, aus dem er einfach nicht aufwachen wollte. Trocadéro lautete der Schriftzug an den Wänden. Eine Durchsage gab bekannt, dass der nächste Zug mit Verspätung eintreffen würde.
    Neben dem Ausgang des Tunnels gab es eine Leiter. Lucian packte die Stahlsprossen und zog sich hoch. Ein Stiefel kam ihm entgegen, ein wuchtiger Tritt. Er musste loslassen, wäre beinah rückwärts auf die Gleise gestürzt. Leute fingen an zu schreien. Velasco stand über ihm an der Bahnsteigkante. Blut tränkte den Hosenbund des Hexers. Hinter ihm rannten die Fahrgäste in Panik durcheinander. Ein mutiger Mann sprach verstohlen in sein Handy.
    »Du lernst offenbar dazu«, keuchte der Hexer. Er stemmte eine Faust in die Seite. »Früher warst du kein so geübter Fechter. Der Schlag hätte ausgereicht, um dir den Schädel zu spalten.«
    »Früher war ich ein Hund«, stieß Lucian hervor. »Ein Köter, den du treten, schlagen oder streicheln konntest, wie und wann immer es dir passte. Aber das ist vorbei.«
    Der Hexer lachte. Es war kein unattraktives Lachen – im Gegenteil. »Allerdings. Heute beißt du die Hand, die dich damals gefüttert hat. Eine bemerkenswerte Entwicklung.«
    Lucian behielt das

Weitere Kostenlose Bücher