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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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unter ihm, und es roch durchdringend nach Ratten und Metall.
    Sein Herz schlug schneller. Hatten sie es geschafft? Waren sie durch das Tor getreten? In der Dunkelheit fiel es ihm schwer, in seiner Umgebung Einzelheiten auszumachen.
    »Vadym?«
    Keine Antwort. Von dem Russen fehlte jede Spur.
    Wieder ertönte ein Rumpeln und Kreischen. Der Wind zerrte an ihm. Lucian erschrak, als ein flüchtiger Lichtschein über die Wände huschte.
    Doch das Licht zeigte ihm, dass er sich in einem gemauerten Tunnel befand. Er streckte die Arme aus, konnte die Wand aber nicht berühren. Zögernd entschied er sich für eine Richtung und fing an zu gehen.
    Die Gewissheit kam und blieb. Er bewegte sich auf einem Schotterbett vorwärts. Ab und zu kollerte ein Stein zur Seite, und er trat auf eine Holzschwelle. Seine Hand schwitzte an Cors Griff, aber er wagte nicht, das Schwert in die Scheide zu stecken. Vom Blutverlust war ihm schwindlig.
    »Vadym? Vadym? Wo steckst du?«
    Wieder ein Rumpeln und ein Luftzug, näher diesmal. Lucian fuhr herum, als Lichter durch einen benachbarten Tunnel rasten. Sie verschwanden in der Dunkelheit, rot glühend wie Drachenaugen. Was hätte Ravenna wohl dazu gesagt?
    Offenbar verzweigten sich die Gänge mehrfach. Stahltrassen zogen sich weit in die Dunkelheit hinein. Er konnte sich nicht vorstellen, welchen Zweck diese Bänder erfüllten. So etwas hatte er noch nie gesehen.
    »Vadym!«
    Die Antwort kam aus einem anderen Tunnel. Die Stimme klang unglaublich fern. Ein heißer Schreck durchfuhr Lucian, als er begriff, dass er die Orientierung verloren hatte. Dieses unterirdische Labyrinth war größer und furchteinflößender als die Tunnel unter Carcassonne. Und er hatte keine Ahnung, wo der Ausgang lag.
    Lähmende Angst überfiel ihn. Er hasste die Dunkelheit, die unterirdischen Gänge. In diesen Momenten hatte er das Gefühl, wieder durch das unendliche Verlies seiner Kindheit zu wandern, einem übermächtigen Gegner ausgeliefert.
    Plötzlich ertönte das Rumpeln von Neuem. Die losen Steine unter seinen Füßen begannen zu beben. Ein durchdringendes Sirren lag in der Luft. Im nächsten Augenblick rasten Lichter um eine Kurve, hielten genau auf ihn zu – weiße Kreise. Geblendet hob Lucian den Arm. Die Stahltrassen, zwischen denen er stand, glänzten.
    Der Luftzug erfasste ihn. Er warf sich zur Seite, knickte mit dem Knöchel um und stürzte in eine Vertiefung zwischen Gleisbett und Tunnelwand. Der Zug raste eine Armlänge entfernt an ihm vorbei, während er entsetzt die Schultern gegen die Mauer presste. Es war ein Zug, ein unterirdischer Zug mit bizarren, bunten Schmierereien überall – das wurde ihm klar, als das stählerne Ungetüm in der Röhre verschwand. Er war wieder in Ravennas Welt.
    Nachdem das Rattern der Räder verklungen war, blieb er noch einige Atemzüge liegen. Sein Herz klopfte hektisch. Du musst besser aufpassen, ermahnte er sich, hier kennst du dich nicht aus. Unvorhersehbare Dinge könnten geschehen.
    Winzige, krallenbewehrte Pfoten trippelten über seine Hand. Er fluchte und riss den Arm hoch. Ratten. Sobald der Zug verschwunden war, kamen sie wieder aus ihren Löchern und machten sich raschelnd über die Abfälle her.
    Lucian rappelte sich auf und kletterte zurück auf das Gleisbett. Er musste einen Ausgang finden und zwar so schnell wie möglich. Wenn er erst oben in der Stadt war, würde ihm der merkwürdige, fünfbeinige Eiffelturm den Weg weisen. Wieder ging er auf den Holzschwellen entlang, lauschte sorgfältig, ob er einen Zug nahen hörte. Irgendwo musste der Tunnel schließlich enden. Er würde den Ausgang finden, wenn er den Schienen nur lange genug folgte.
    Endlich bemerkte er ein schwaches Licht – den Ausgang der Tunnelröhre. Erleichtert begann er darauf zuzugehen. In der Anspannung schien es ihm beinahe, ein Mann käme ihm entgegen. Sein eigener Schatten – gleich groß, von gleicher Statur und mit einem Schwert in der Hand. Er biss die Zähne zusammen und ignorierte den Spuk.
    Doch die Gestalt verschwand nicht. Ein schleppendes Echo verdoppelte das Geräusch seiner Schritte. Plötzlich erkannte er die vertraute und verhasste Ähnlichkeit. Er blieb stehen.
    »Vater«, flüsterte er.
    Velasco deutete eine ironische Verbeugung an. »Mein Junge«, sagte er. »Oder sollte ich besser sagen: mein König? Wie man hört, trägst du jetzt eine Klinge mit einem Namen.«
    Alles in Lucian verkrampfte sich und riet ihm zu fliehen. Die alte Angst überkam ihn. Er hätte es am

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