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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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nicht auf die anfahrenden Taxis und Lieferwagen. Auf halbem Weg über die Straße prallte Lucian beinahe mit einem Motorroller zusammen. Er packte den Fahrer am Kragen und stemmte ihn mühelos von der Sitzbank, wie er es mit einem berittenen Gegner getan hätte.
    »Kannst du mit dem Ding umgehen?«, schrie er Ravenna zu, während er den gestürzten Roller hochzog. Der Verkehr rauschte rechts und links an ihnen vorbei. Die Fahrer hupten. Ein Gemüsetransporter musste scharf bremsen und verlor einen Teil seiner Ladung. Plötzlich kollerten Orangen, Artischocken und Melonen über die Straße.
    »Ich … keine Ahnung. Als ich das letzte Mal gefahren bin, war ich siebzehn«, stieß Ravenna hervor. Lucian fasste sie am Arm und zerrte sie auf die Sitzbank. Dann saß er hinter ihr auf. »Los!«
    »He!« Der Rollerbesitzer hatte sich wieder aufgerafft. Er humpelte hinter ihnen her. Seine Nase blutete, und seine Brille war durch den Sturz gesplittert. Er sah aus wie ein typischer Pariser Student – bis auf die Tatsache, dass er ein Grimoire unter dem Arm trug. Das Zauberbuch war in Leder gebunden. Auf der Vorderseite prangte eine in Gold geprägte Teufelsfratze. Das Lesebändchen bestand aus Schlangenhaut.
    Hoffentlich schickt er uns keinen Fluch hinterher, dachte Ravenna. Panik stieg in ihr auf, als der Roller über die Gehsteigkante holperte. Sie brauchte ihre ganze Kraft, die sie durch die schwere Arbeit mit Hammer, Spitzeisen und Krönel bekommen hatte, damit der Roller nicht ausbrach. Im Rückspiegel sah sie, wie der Student der Magie von zwei schwergewichtigen Männern in schwarzen Lederjacken abgefangen wurde. Offenbar hatte Beliar für diese Art von Zwischenfall vorgesorgt.
    Ravenna duckte sich über den Lenker und raste am Rathaus vorbei.
    »Da lang!«, schrie Lucian ihr ins Ohr. Er streckte den Arm aus. Der Junge im Ringelpullover verschwand in einer Seitenstraße. Hinter dem prunkvollen Schloss bog Ravenna in die Gasse. Der Lärm, den der Roller machte, war ohrenbetäubend. Das Kleinflugzeug verfolgte sie. Bestimmt drehte Beliar die Hetzjagd von oben.
    »Schneller!«, keuchte Lucian, während er sich mit einer Hand an ihr festkrallte. Mit der anderen hielt er den Koffer fest. »Wohin ist er gelaufen? Wenn ich diesen Halunken erwische, erlebt er sein blaues Wunder.«
    Das glaubte Ravenna ihm sofort. Seine Augen funkelten düster, die Lippen waren zusammengepresst. Dann verwandelte sich seine Miene von einer Sekunde auf die andere in eine Maske des Schreckens.
    »Achtung! Vor dir!«, schrie er.
    Der Russe tauchte ohne Vorwarnung aus dem Nichts auf. Cezlav stand einfach mitten auf der Straße und streckte die Hände aus. Lauthals brüllte er einen Fluch. So schnell konnte Ravenna gar nicht bremsen, wie der Magier einen Schwall Energie auf sie abfeuerte.
    Der Roller kippte zur Seite und schlitterte funkensprühend über den Asphalt. Der Motor heulte auf. Ravenna rollte in die Gosse und schlug sich das Knie an. Ein paar Sekunden lang verlor sie die Orientierung, doch sie raffte sich sofort wieder auf. Ihre Knochen schmerzten.
    Lucian war durch den Sturz auf die andere Straßenseite geschleudert worden. Er wirkte benommen, aber auch er war schon wieder auf den Beinen und stürzte sich auf Cezlav. Der russische Zauberer riss sich los, sprang über einen Zaun und hangelte sich geschickt an einem Regenrohr und einem schmiedeeisernen Rosengitter empor. Dann verschwand er jenseits einer Brüstung.
    »Vergiss ihn!«, rief Ravenna, als Lucian dem Flüchtenden nachsetzen wollte. »Wir müssen das Siegel zurückholen. Unser Glück, dass der Junge diesen auffälligen Pullover anhat.«
    »Allerdings«, stieß Lucian hervor. »Und unser Pech, dass dir das nicht schon viel früher aufgefallen ist.«
    »Dir doch auch nicht!«, fauchte Ravenna. Sie machte kehrt und rannte zum Ende der düsteren Gasse. Vor ihr öffnete sich ein Platz, der mit Marktständen und schiefen Buden übersät war. Kastanien wuchsen zwischen den Häusern. Unter den Bäumen drängten sich Passanten, die mit Tragetaschen und Papiertüten beladen waren. Sie konnten sich nur langsam durch die Menge schieben.
    »Lauf du hier lang, ich nehme die andere Seite! Der Bursche darf uns nicht entwischen«, keuchte Lucian, während er sich flüchtig den Schmutz vom Mantel klopfte. Er stürmte los, ohne auf ihre Antwort zu warten.
    Zwei Atemzüge lang stand Ravenna da und wartete darauf, dass das Brennen an ihrem Knie nachließ. Sie spürte, wie ihr von der Schürfwunde Blut

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