Tore der Zeit: Roman (German Edition)
den Rippen.
Der Gang endete schließlich unter einer Kuppel aus Totenschädeln. Eisblaues Licht erfüllte die Grube. Es gab keinen weiteren Ausgang mehr – sie hatten das Ende des Stollens erreicht.
»Wir sind am Ziel«, stieß Ravenna hervor. »Wir haben es sogar vor Vadym und seinem Gehilfen geschafft. Wie geht es nun weiter?«
»Keine Ahnung. Du bist die Hexe. Finde es heraus!« Während er das sagte, wandte sich Lucian dem Kameramann zu. Dieser war am Eingang stehen geblieben und rang nach Atem. Sein Gesicht war leichenblass.
»Alles in Ordnung mit Euch? Ihr seht aus, als wäre Euch nicht wohl.«
Es machte tatsächlich den Anschein, als ob die Knie des Kameramanns jeden Augenblick nachgeben würden. Dennoch wagte er nicht, sich mit dem Rücken gegen die Schädelwand zu stützen.
»Es geht schon«, stieß er hervor. Ohne das grelle Licht der Kamera wirkte der eisblaue Schimmer in der Gruft noch unheimlicher. »Es muss gehen. Ich hab bloß so ein Scheißgefühl in der Brust.«
»Das nennt man Angst«, bemerkte Ravenna bissig. Wieso schickte der Sender bloß jemanden mit ihnen in die Katakomben, der Platzangst hatte?
Lucian reichte dem Mann die geöffnete Wasserflasche. »Trinkt einen Schluck! Immer langsam. Das Gefühl geht bald vorbei«, tröstete er den Techniker.
Der Kameramann schob seine Wollmütze nach oben und wischte sich den Schweiß von den Schläfen. Er nickte dankbar. »Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass der Quizmaster hier unten auf Sie wartet«, bemerkte er zwischen zwei Schlucken. »So war es zumindest ausgemacht. Beliar wollte das Finale der zweiten Runde unbedingt in der Gruft drehen.«
Eisiger Schrecken kroch Ravennas Wirbelsäule empor. Beliar erwartete sie? Hier unten ? Sie war sich ziemlich sicher, dass er das tat – allerdings nicht auf dieser Seite des Tors.
In dieser Gruft musste es ein Portal geben, davon war sie überzeugt. Die Nähe zum magischen Strom verursachte dieses flaue Gefühl im Magen und das Gefühl der Beengung in der Brust. Sie befanden sich zu nah an dem Kraftfeld. Ein einziger Fehltritt und sie würden sterben, ohne je den Grund dafür zu erfahren.
»Bleiben Sie genau da stehen, wo Sie jetzt sind«, wies sie den Kameramann an. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck, ganz gleich, was passiert!«
»Keine Sorge«, keuchte der Kameramann. »Für heute reicht es mir mit dem Gerenne.« Während er noch vor sich hin klagte, hievte er die Kamera wieder auf seine Schulter und schaltete die starke Lampe ein.
Ravenna stockte der Atem. Das weiße Licht streifte einen Torbogen am Ende des Gewölbes. Er bestand ausschließlich aus Rippen. Der Durchgang war zugemauert. Eine Wand aus leeren Augenhöhlen starrte sie an. Am Scheitelpunkt des Bogens befand sich eine freie Stelle. Lucian zeigte darauf, doch Ravenna hatte die Lücke längst gesehen. Der Hohlraum hatte die Form eines Y.
» Ich will in einer Kneipe sterben! «, ertönte es aus dem rechten Gang. »Was ist denn das für ein Unsinn! Meum est propositum in taberna mori! Will Beliar mit diesem Spruch vielleicht irgendetwas andeuten?«
Ravenna drehte sich um. Auch der Kameramann schwenkte sein Gerät in Richtung des Tunnels, um die Ankunft der beiden Russen einzufangen. So trafen sie sich wieder, die Gestrandeten der Unterwelt.
»Da ist sie! Da ist Ravenna«, zischte der Magier aus Sankt Petersburg und zeigte mit dem Finger auf sie. Offenbar hatte Vadym seinen Kameramann abgehängt. »Jetzt muss uns die Chexe geben, was in dem Koffer war.«
Ravenna wich zurück. Sie und Lucian hatten nur Vadym im Auge, aber es war sein junger Gehilfe, der den Stock mit dem Silberknauf benutzte, um dem Kameramann das Aufnahmegerät aus der Hand zu schlagen.
Das Licht ging aus. Mit einem Klacken wurden sie in völliger Schwärze zurückgelassen, als die Beleuchtung der Gänge erlosch. Vielleicht war das Beliars Art, die Übertragung aus den Katakomben zu unterbrechen, nun da es hässlich wurde. Plötzlich war das eigene Keuchen der einzige Anhaltspunkt in der Dunkelheit. Dann hörte Ravenna eilige Schritte, die sich entfernten.
»Der Kameramann chaut ab«, stellte der kupferhaarige Zauberlehrling fest. Seine Stimme klang belegt. Vadym verfluchte ihn, während er ihm offenbar den Spazierstock aus den Händen wand.
Mit zittrigen Fingern tastete Ravenna nach der verborgenen Wünschelrute in ihrer Manteltasche. Als sie den Knochen hervorzog, verbreitete dieser sofort ein geisterhaftes Licht. Im fahlen Schein glühten Vadyms
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