Torso
gehindert habe, den privaten Ermittler mittels einer von ihr mitgeführten Steinschleuder tödlich zu verletzen. Weiterhin tatverdächtig sei außerdem, wie bereits erwähnt, der nachweisliche Eigentümer der Steinschleuder, ein sechzehnjähriger bosnischer Asylbewerber, der jedoch allem Anschein nach zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen sei. Frieser schloss mit einem neuen Appell, die Berichterstattung nüchtern und faktenorientiert zu halten, und versprach, nach Abschluss der aufwendigen Ermittlungen erneut eine Pressekonferenz einzuberufen.
Als er geendet hatte, schossen sechs Hände in die Höhe. Aber es kam keine Frage, auf die er nicht vorbereitet gewesen wäre.
Wie man sich diese »Hassfiguren« vorzustellen habe? Wo genau sie gefunden worden seien? Was der erschossene Polizist mit seiner Aktion beabsichtigt habe? Inwiefern das Mädchen nachweislich seine Komplizin sei und in welcher Tatabsicht?
Frieser stand zwanzig Minuten lang Rede und Antwort. Die meisten Nachfragen konnte er unter Verweis auf laufende Ermittlungen und die Vertraulichkeit von Täterwissen vage genug beantworten. Was die Frage nach den Motiven des oder der Täter betraf, so nutzte er die Nachfragen, um immer wieder den offenbar gestörten Geisteszustand der Tatbeteiligten zu betonen.
»Nach unserem gegenwärtigen Wissensstand«, so sagte er abschließend, »sind die schockierenden Arrangements aus tierischen und menschlichen Körperteilen durch mittelalterliche Gemälde inspiriert worden, auf denen moralische Verworfenheit angeprangert wird. Manches deutet darauf hin, dass sowohl der getötete Täter Z. als auch die Beschuldigte H. als Borderline-Existenzen gesehen werden müssen, Personen also, deren Verhältnis zu sich selbst und zu ihrer Umwelt zutiefst neurotisch ist. Ihr Seelenleben ist von abstrakten Hassvorstellungen gegen fast alle Facetten unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens geprägt. Bei Z. müssen wir aus den Befragungen seines Umfeldes schließen, dass seine krankhafte Gemütsstörung auch im Zusammenhang mit der als traumatisch empfundenen Wiedervereinigung steht. Die Tatverdächtige H. hingegen lebt seit ihrer frühen Jugend in einem staats- und gesellschaftsfeindlichen Milieu, in dem eine an Paranoia grenzende Weltsicht gepflegt wird. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.«
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D er Name des Ortes, wo Inga gefangen gehalten worden war, hatte bei Sedlazek alle Alarmglocken ausgelöst. Doch er zauderte noch, hinzufahren. Er saß stundenlang an seinem Schreibtisch, starrte auf das schwarze Leder der Schreibunterlage und versuchte, die vagen Erinnerungen zusammenzustückeln, welche die Namen Zollanger und Müllrose in ihm heraufbeschworen. Aber sosehr er sich auch bemühte, es war zu lange her. Da war irgendetwas gewesen, das wusste er noch. Der Name hallte in ihm wieder, ganz weit entfernt. Und auch das Gesicht aus der Sauna trat ihm immer wieder vor Augen. Deshalb fuhr er nach fünf Tagen schließlich doch hin. Er musste seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Es war etwas sehr weit Zurückliegendes.
Er erzählte Marquardt nichts von seiner Ahnung. Auch Zieten nicht. Er wollte zuerst herausfinden, welches Gespenst von früher ihn da so unverhofft heimsuchte. Und wenn es wirklich ein Gespenst aus der schwierigen Zeit war, dann würde er den Teufel tun und es Marquardt oder Zieten auf die Nase binden. Er würde lieber dafür sorgen, dass es wieder verschwand, lautlos und unbemerkt. Das fehlte gerade noch, dass er ausgerechnet jetzt, wo er schon genügend Schwierigkeiten hatte, mit diesem alten Kram belästigt wurde.
Er kannte die Strecke im Schlaf. Wie oft war er in den sechziger Jahren dort hinausgefahren. Müllrose. Sein erster Einsatzort. Und gleich mittendrin im Geschehen. Dort hatte er alles gelernt. Die Verhörmethoden. Die Feinheiten, wie man störrische Gegner in winselnde Häuflein Elend verwandelte. Er hatte jeden Augenblick genossen. Staatsfeinde konnten bei ihm nicht mit Erbarmen rechnen. Diese Krankheitskeime des Volkskörpers. Es war so ganz nach seinem Geschmack gewesen. Und ihre Erfolge hatten sich sehen lassen können. Geständnisse ohne Ende. Natürlich gab es bisweilen den ein oder anderen Unbelehrbaren. Um die kümmerte er sich besonders gern. Besonders die, für die der Westen Geld zu bezahlen bereit war. Die sollten bloß nicht glauben, ihre Leiden seien jenseits der Grenze zu Ende. Da war dieser Schriftsteller gewesen. An den erinnerte er sich noch sehr gut. Eine rundum gelungene
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