Torso
Richtung und sagte nur: »Elin. Bitte.« Und an den Vorsitzenden gerichtet fügte er hinzu: »Ich bezahle des Zwangsgeld natürlich.« Dann nahm er wieder im Besucherbereich Platz.
Udo Brenner schüttelte verständnislos den Kopf. »Was verspricht sie sich nur von diesem Theater?«, flüsterte er Sina zu. »Verbohrte Jugend, kann ich nur sagen.«
Mirat leistete keinerlei Widerstand gegen die Fragen des Richters. Er bestätigte alle Angaben und schaute den Vorsitzenden eingeschüchtert an, während der einen Schwall von Verfahrenserklärungen abgab, die offenbar Routine waren und weder auf Seiten der Anklage noch der Verteidigung zu irgendwelchen Reaktionen führten. Schließlich wurde Staatsanwalt Frieser aufgefordert, den Anklagesatz zu verlesen.
Sina erinnerte sich später noch an die genaue Uhrzeit, denn sie hatte den Minutenzeiger auf der Wanduhr auf die nächste Minute springen sehen. Frieser war noch nicht einmal beim Tatvorwurf angelangt, als sich um 10:27 Uhr die Tür zum Sitzungssaal öffnete.
Ein Fahrradkurier stand auf der Schwelle. Aber das war nicht die einzige Merkwürdigkeit. Auf dem Gang hinter dem Kurier wartete eine Gruppe von Menschen und schaute neugierig in den Saal hinein. Ein Gerichtsbediensteter hatte seine Arme ausgebreitet, um die Leute daran zu hindern, den Saal zu betreten.
Frieser blickte fragend zum Vorsitzenden und wartete auf dessen Reaktion.
»Was ist denn da draußen los?«, fragte dieser. »Und was wollen Sie hier?«
»Ich habe eine Eilsendung für Frau Dr. Kornmüller.«
Vera Kornmüller errötete. Frieser schüttelte genervt den Kopf.
»Aber wohl kaum unter dieser Adresse«, sagte Vera Kornmüller verständnislos. »Liefern Sie doch bitte an mein Büro.«
Der Bote schüttelte den Kopf.
»Die Sendung ist als dringend und zur sofortigen persönlichen Aushändigung an Sie im Gerichtssaal gekennzeichnet und bezahlt.« Dann, nach einem kurzen Blick in die Runde, fügte der Kurier hinzu: »Ich werde draußen auf Sie warten.«
»Nehmen Sie den Brief eben schnell an«, sagte der Richter unwirsch und rief dann nicht weniger gereizt in Richtung Tür: »Saaldiener. Was wollen denn diese Leute da draußen?«
Der Mann scheuchte die Gruppe, die näher gekommen war, mit einer energischen Bewegung zurück. Dann betrat er den Sitzungssaal und schloss die Tür hinter sich: »Es sind Presseleute. Sie wollen dem Verfahren beiwohnen.«
»Aha. Und warum kommen sie dann nicht pünktlich?«
Der Saaldiener hatte dafür keine Erklärung.
Vera Kornmüller quittierte ihre Sendung und legte den Umschlag vor sich auf dem Tisch ab. Der Kurier ging wieder zur Tür.
»Wenn ich es richtig sehe«, sagte der Vorsitzende, »ist auf den Besucherbänken ja noch jede Menge Platz. Hat jemand etwas dagegen einzuwenden, wenn Pressevertreter dem Verfahren beiwohnen?«
Frieser machte Anstalten, etwas zu sagen, besann sich aber dann und ließ es bleiben. Vera Kornmüller signalisierte Zustimmung. Der Vorsitzende machte dem Saaldiener ein Handzeichen. Der öffnete die Tür, eskortierte den Kurier nach draußen und ließ dann die Wartenden nacheinander eintreten. Die Journalisten, sechs Männer und zwei Frauen, nahmen weitgehend geräuschlos im Besucherbereich Platz. Der Gerichtsreporter schien die meisten von ihnen zu kennen. Sein Gesicht drückte jedoch vor allem Verwunderung darüber aus, auf einmal so viele Kollegen hier auftauchen zu sehen.
Wenige Minuten später war wieder Ruhe im Saal eingekehrt. Frieser setzte seine Ausführungen fort, erläuterte, wie er Elins Schuld am Tod von Aivars Ozols nachweisen werde und welche Zeugenaussagen und Gutachten er dafür vorzulegen gedenke. Er erläuterte, dass nach der Spurenlage eine mögliche Tatbeteiligung des Angeklagten Kuljici nicht ausgeschlossen werden könne und daher eine Befragung beider Tatverdächtigter im Hauptverfahren notwendig sei.
Etwa zu diesem Zeitpunkt in Friesers Rede war mit dem Mädchen eine Veränderung vor sich gegangen. Elin hatte die eintretenden Journalisten gar nicht beachtet, sondern vom ersten Augenblick an nur den Umschlag angestarrt, den der Fahrradkurier geliefert hatte. Nach einer Weile hatte sie sich plötzlich zu ihrer Anwältin hinübergebeugt und ihr etwas ins Ohr geflüstert. Sina hatte es gesehen, denn sie hatte nach wie vor Mühe, ihren Blick von dem Mädchen zu nehmen. Die anderen hatten davon offenbar nichts bemerkt. So fiel auch zunächst niemandem auf, dass Vera Kornmüller den Umschlag behutsam öffnete. Sina
Weitere Kostenlose Bücher