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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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hinten exekutiert hat. Ballistik hin oder her. Und da sie nicht einmal versucht, sich zu rechtfertigen, kann ihm das sogar gelingen. Sie macht ja nicht einmal Notwehr geltend. Sie sagt einfach, sie könne sich an nichts erinnern.«
    Sina schaute verdrießlich vor sich hin.
    »Arbeitet bei uns überhaupt noch jemand an der Sache?«, erkundigte sie sich dann.
    Brenner schüttelte den Kopf. »Für uns ist der Fall ausermittelt. Wir haben unser Korn in die Mühlen der Justiz geschüttet. Jetzt sind die dran. Und ehrlich gesagt, sind wir alle ziemlich erleichtert, dass wir nichts mehr damit zu tun haben. Wenn du am Montag wieder anfängst, wird dich jedenfalls niemand darauf ansprechen.«
    »Ist Zollangers Posten schon neu besetzt?«
    »Nein. Es soll jemand von außerhalb erster HK werden. Wir haben im Moment alle Beförderungsstopp.« Er hob seine Kaffeetasse und hielt sie vage in Richtung Friedhof: »Danke, Martin.«
    Sina schaute Udo lange schweigend an.
    »Du glaubst also wirklich, dass das alles genau so passiert ist, wie Frieser es sich zusammengereimt hat?«
    »Absolut nicht, meine Liebe. Ich glaube gar nichts. Aber ich weiß noch viel weniger. Deshalb wird es auch nach vielen Jahren das erste Mal sein, dass ich einen Strafprozess besuche. Vielleicht redet das Mädchen ja doch noch.«

[home]
66
    D as öffentliche Interesse an einer fast zwei Monate zurückliegenden Schießerei, bei der ein Unbekannter und ein Polizist zu Tode gekommen waren, hatte am 5. Februar so weit abgenommen, dass der Andrang im Sitzungssaal acht des Gerichtsgebäudes in Moabit recht gering war.
    War Friesers Appell, das Ansehen der Strafverfolgungsorgane nicht durch spekulative Berichte zu beschädigen, befolgt worden? Oder hatten im Hintergrund noch andere Kräfte gewirkt, um die Sache so weit es ging aus den Medien herauszuhalten? Friesers Strategie schien jedenfalls aufgegangen zu sein. Die Berichterstattung über den Vorfall in Reinickendorf war vage und unspektakulär ausgefallen. Die Schlagzeilen im Dezember hatten sich vor allem mit den skandalösen Enthüllungen im Zusammenhang mit der Gasexplosion in Mariendorf beschäftigt.
    So waren am 5. Februar zunächst nur wenige Prozessbesucher zum ersten Verhandlungstag erschienen. Aus Mirats verzweigter Verwandtschaft waren seine Mutter und ein Cousin gekommen. Jojo Jesus erschien mit Hagen, mit dem er sich flüsternd unterhielt. Sina und Udo saßen zwei Reihen hinter ihnen, vier Stühle getrennt von einem wiederholt gähnenden Gerichtsreporter, der einen Randplatz eingenommen hatte, vermutlich um unbemerkt verschwinden zu können, falls sich die Sache zu lange hinzog.
    Um Viertel vor zehn betrat Vera Kornmüller den Gerichtssaal und legte ihre Dokumente auf dem Tisch der Verteidigung ab.
    Sina musterte die verschiedenen Personen und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, wer sie waren. Die Frau mit Kopftuch in Begleitung eines Jugendlichen … der zerlumpte, bärtige Mann in Begleitung des Typen mit dem Pferdeschwanz … Vielleicht waren die beiden mit dem angeklagten Mädchen bekannt. Die rothaarige Frau in schwarzer Robe musste ihrem Platz zufolge die Verteidigerin sein. Aber wer war der elegant gekleidete, gutaussehende Mann, der mit sorgenvollem Gesichtsausdruck in der ersten Reihe des Besucherbereichs Platz nahm? Der Vater des Mädchens? Jener Starfotograf aus Hamburg, von dem Udo erzählt hatte?
    »Ist das ihr Papa?«, fragte sie ihn leise.
    »Keine Ahnung« erwiderte er. »Könnte sein.« Dann deutete er auf eine Tür am hinteren Ende des Saales, die sich soeben geöffnet hatte. Ein Polizeibeamter betrat den Saal, gefolgt von einem hochgewachsenen, mageren blonden Mädchen. Sie trug Jeans, eine dunkelgrüne Bluse und eine graue Strickjacke. Hinter ihr folgte ein schmächtiger Junge in dunkelblauen Cordhosen und weißem Hemd. Ein zweiter Polizist trat durch die Tür und schloss sie hinter sich. Die beiden Angeklagten nahmen flankiert von den Sicherheitsbeamten an dem Tisch Platz, wo zuvor die Verteidigerin ihre Unterlagen abgelegt hatte.
    Sina bemerkte, dass das Mädchen kurz einen Blick mit dem eleganten Herrn in der ersten Reihe wechselte. Der Bärtige machte ihr ein Siegeszeichen mit dem Daumen, während ihr der Mann mit dem Pferdeschwanz neben ihm aufmunternd zunickte. Nun füllte sich der Verhandlungssaal rasch. Die rothaarige Frau kam wieder herein. Frieser, ebenfalls in Amtstracht, ließ ihr mit galanter Miene den Vortritt. Sina folgte dem Staatsanwalt mit

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