Torso
misstrauischem Blick, während der Mann auf den Platz der Anklage zusteuerte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Anwältin, die den beiden jungen Leuten kurz die Hand reichte, um dann zwischen ihnen Platz zu nehmen. Fast zeitgleich betraten die drei Richter und die beiden Schöffen der vierzehnten Strafkammer den Raum und nahmen ihre Plätze auf dem erhöhten Podest an der Stirnseite ein. Der Vorsitzende blickte mürrisch auf den leeren Stuhl der Protokollantin und machte einem der Schöffen ein energisches Handzeichen. Doch die Protokollantin eilte schon herbei, wobei kurzzeitig eine feine Duftspur von kaltem Zigarettenrauch durch den Saal wehte.
Der Vorsitzende wollte soeben mit dem Aufruf zur Sache beginnen, als noch eine weibliche Person den Raum betrat. Der Staatsanwalt machte ihr ein Zeichen, und sie setzte sich mit einer entschuldigenden Geste an die Richter neben den Anklagevertreter.
Sina hatte die ganze Zeit über das Mädchen beobachtet. Sie hatte sich ein ganz anderes Bild von ihr gemacht, sie sich eher klein und ein wenig schlampig vorgestellt. Elin Hilgers Äußeres irritierte sie. Mit ein wenig Phantasie sah sie den mageren Mode-Ikonen, die im Moment die Zeitschriften füllten, gar nicht unähnlich. Ihr Gesicht war engelhaft schön und zugleich maskenhaft. Ein plötzliches Gefühl von Eifersucht durchfuhr sie. Dieses Mädchen verband irgendein Geheimnis mit Zollanger. Hatte er etwas mit ihr gehabt? Warum sollte sie das stören? Zollanger war doch nur ein Kollege gewesen.
Seit dem kurzen Blickwechsel mit ihrem Vater hatte das Mädchen die Augen nicht mehr gehoben. Auch die Begrüßung durch ihre Anwältin hatte sie wie unbeteiligt über sich ergehen lassen. Während der Junge nervös um sich blickte, saß sie reglos da, als ginge sie das ganze Verfahren gar nichts an.
»Ich eröffne das Hauptverfahren in der Strafsache Elin Hilger und Mirat Kuljici wegen Mordes und Beihilfe zum Mord …«
Im Saal hatte sich angesichts der Bedeutung dieser Worte eine angespannte Stille ausgebreitet. Sie hielt an, während der Vorsitzende die Namen und Funktionen der anwesenden Personen verlas und dann die Zeugen- und Sachverständigenbelehrung folgen ließ.
»Staatsanwalt Frieser«, begann der Vorsitzende dann. »Dürfte ich Ihre Sachverständige bitten, draußen zu warten? Wir werden sie nachher anhören.«
Die Frau verließ sofort den Raum. Der Vorsitzende wandte sich Elin zu.
»Sie sind Elin Hilger, geboren am 14. Dezember 1982 in Hamburg?«
Elin reagierte nicht.
»Frau Dr. Kornmüller. Würden Sie Ihre Mandantin bitte dazu bewegen, meine Fragen zu beantworten.«
»Meine Mandantin beantwortet keine Fragen«, erwiderte die Anwältin. »Auch die meinen nicht.«
»Frau Hilger«, versuchte es der Vorsitzende erneut, »Sie sind nicht verpflichtet, Angaben zur Sache zu machen. Angaben zu Ihrer Person dürfen Sie jedoch nicht verweigern. Tun Sie dies dennoch, so begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu vierzig Tagessätzen geahndet werden kann. Ersparen Sie mir bitte diese Zwangsmaßnahme. Also. Ist Ihr Name Elin Hilger, und sind Sie am 14. Dezember 1982 in Hamburg geboren?«
Elin fixierte den Richter. Dann wandte sie stumm den Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster.
»Wie Sie wollen. Das Gericht verordnet vierzig Tagessätze zu …«
Vera Kornmüller hob den Arm. Der Vorsitzende gab ihr das Wort.
»Der Vater der Angeklagten ist anwesend. Ich beantrage, die Identitätsfeststellung durch Zeugenaussage des Vaters unter Eid vorzunehmen, und bitte um Aussetzung des Zwangsgeldes. Falls das Gericht dies ablehnt, so gebe ich zu Protokoll, dass meine Mandantin mittellos ist und aus weltanschaulichen Gründen die Teilnahme an jeglicher Art von Geldverkehr verweigert. Zwangsmaßnahmen müssten also grundsätzlich in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe verordnet werden.«
Der Vorsitzende zögerte einen Moment. Nach kurzer Rücksprache mit seinen Kollegen entschied er: »Der Vater möge vortreten und die Identität seiner Tochter bestätigen. Die vierzig Tagessätze bleiben bestehen, da die Aussageverweigerung der Angeklagten jeglicher Grundlage entbehrt und lediglich eine Missachtung des Gerichts darstellt.«
Der elegant gekleidete Mann erhob sich, trat an den Tisch der Protokollantin, brachte die Beeidigungsformalität hinter sich und bestätigte, dass er Edmund Hilger heiße und es sich bei der Angeklagten um seine Tochter handele. Dann warf er einen flehenden Blick in ihre
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