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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Fisch, Elin. Er stinkt mächtig. Aber das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Die BIG ist das letzte Glied in der Kette. Haben Sie schon einmal von der Volkskreditgesellschaft gehört? Der VKG ?«
    »Nein.«
    »Und Sie sind sicher, dass Sie das alles wirklich wissen wollen?«
    »Ich will wissen, warum mein Bruder sterben musste.«
    Zollanger setzte sich, winkelte die Beine an und stützte seine Unterarme darauf.
    »West-Berlin war nach dem Krieg und der Teilung nicht lebensfähig«, begann er. »Die Stadt hing immer am Tropf des Westens. Gleichzeitig war undenkbar, dass man sie jemals aufgeben würde. Die Leute, die hier am Ruder waren, konnten die Stadt ausplündern und in Grund und Boden wirtschaften – der Bund hatte gar keine Wahl, als die Rechnung zu bezahlen. Bis zum Mauerfall war West-Berlin ein Milliardengrab, ein vom Westen gemästeter Brückenkopf des Kalten Krieges. Eine Frontstadt eben, mit allen dafür typischen Erscheinungen – einer gewissen Anarchie, lockeren Sitten und daraus folgend Korruption und Vetternwirtschaft.«
    Zollanger blickte durch Elin hindurch, als sähe er die Vergangenheit vor sich.
    »Nach der Wiedervereinigung stand die Stadt plötzlich so da, wie sie wirklich war: heruntergekommen, ohne tragfähige wirtschaftliche Basis, mit einem gigantischen öffentlichen Dienst und einem Heer von einflussreichen Günstlingen in allen wichtigen Schaltstellen. Wie sollte man die alle durchfüttern und bei Laune halten? Es musste dringend Geld her, und zwar viel. Aber wie füllt man leere Kassen? Aus der Gegenwart war nichts mehr herauszuholen, die war schon kahlgefressen. Blieb nur die Zukunft. Die Schuldengrenze war jedoch ebenfalls erreicht, denn es gibt ja Grenzen, bis wohin die öffentliche Verschuldung steigen darf. Die Stadt war bereits seit zwei Jahren nicht mehr in der Lage, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Man klagte in Karlsruhe, versuchte, die anderen Bundesländer anzuschnorren. Glücklicherweise ohne Erfolg. Was sollte man also tun? Nun, was meinen Sie?«
    »Sparen«, sagte Elin.
    »Sparen? Diese Stadt ist ein Ausgaben-Junkie, Elin. Ein Junkie kann nicht plötzlich sparen. Er braucht Stoff. Und wenn es sein muss, verdrückt er nicht nur das Geld vom nächsten Jahr, sondern auch das der nächsten dreißig oder fünfzig Jahre. Es ist ja sowieso überall das Gleiche: In den leergefischten Meeren, auf den überdüngten Äckern – der Exzess findet überall statt. Warum sollte es ausgerechnet in der Kreditbranche anders sein, die ja davon lebt, die Zukunft zu verkaufen?«
    Elin verzog das Gesicht. Zollanger ließ sich nicht unterbrechen.
    »Und wie kommt man an dieses Geld heran? Es liegt ja recht gut geschützt in den Taschen der Bevölkerung. Auf ihren Sparbüchern. In ihren Rentenansprüchen. In den ganzen Werten und Rücklagen, die die Leute für sich oder ihre Kinder geschaffen haben. Mit ein paar Steuerüberfällen im Morgengrauen nach der nächsten Wahl ist es da nicht getan. Man muss schon eine Bohrinsel mit einem ganz besonders langen Saugrohr konstruieren, um an diese in tiefer Zukunft liegenden Vermögensschichten heranzukommen und sie klammheimlich leerzupumpen. Selbstverständlich darf niemand auf die Idee kommen, dass die Stadt selbst an dieser räuberischen Bohrarbeit beteiligt ist. Also, was tut man? Ganz einfach. Man versteckt die Bohrstation im Keller des Rathauses. In der Eingangshalle steht sogar ein Schild: › VKG -Volkskreditgesellschaft. 2. OG links‹. Aber da sitzen nur die Damen von der Werbeabteilung. Von der Bohrstation im Keller wissen nur ganz wenige.«
    »Eric hatte Material über diese BIG und eine gewisse TBG «, sagte Elin. »Von einer VKG war nirgendwo die Rede.«
    »Nett, diese ganzen Abkürzungen, nicht wahr?«, sagte Zollanger. »Es gibt noch ein paar Dutzend andere, aber dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Sie müssen auch nur die Struktur verstehen. Die VKG ist wie ein Tumor. Es ist sehr schwierig, Gesundes und Krankes, Öffentliches und Privates, Legales und Illegales voneinander zu unterscheiden.«
    »Und wenn man den Tumor herausschneidet?«
    »Dann stirbt der Patient. Denn er sitzt in allen lebenswichtigen Organen. Sie müssen sich das so vorstellen: Die Stadt, also die VKG , übernimmt Beteiligungen an verschiedenen Piranha-Banken, die für sie in hochriskante Finanzgeschäfte einsteigt. Die Piranha-Banken sind auf dem Markt natürlich suspekt. Doch da sie plötzlich Anzug und Krawatte

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