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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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dunklen Zimmer, als sei nichts gewesen, die Glasscherben auf dem Teppich glänzen, wenn der bläuliche Schein sie streift. Bevor er sich zwei Stunden später betrunken ins Bett legt, räumt Bernhard Elisas Bettzeug in den Schrank. Könnte sein, dass er doch noch zu heulen anfängt, wenn ihm ihr Geruch in die Nase steigt.
    Die Tage in der Redaktion vergehen quälend langsam und doch schnell. Bernhard hastet von einem Termin zum anderen, schreibt seine Zeilen über all die unbeholfenen Versuche, das Land zu retten, interviewt Soldaten, die aus dem Wehrdienst wegbeordert werden, um die Lücken zu füllen, die all die Ausreisenden in der Wirtschaft gerissen haben. Diejenigen, die vom Ministerium für Staatssicherheit kommen, um das Gleiche zu tun, befragt er nicht. Über die dürfte er nichts schreiben. Als sie am 9. November in der Zeitung den Appell von ChristaWolf und anderen Künstlern und Oppositionellen veröffentlichen, hält er das für vergebliche Liebesmüh. »Fassen Sie zu sich selbst und zu uns, die wir hierbleiben wollen, Vertrauen.« Davon wird sich niemand halten lassen. Sie hatten vierzig Jahre Zeit, die Leute zum Hierbleiben zu bewegen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
    Als Bernhard anfängt, während der Arbeit zu trinken, stellt er fest, dass er damit in der Redaktion in guter Gesellschaft ist. Manch einer hier tut das schon seit Jahren und kommt damit gut über die Runden. Bereits vor dem Mittagessen nimmt Bernhard den ersten Schluck aus der Flasche, die in seinem Schreibtisch in der untersten Schublade steht. Mit Luise hat er immer noch nicht telefoniert.
    Ins Pressezentrum in der Mohrenstraße gehen sie zu zweit. Sicherheitshalber. Bernhard ist froh, dass ein Kollege dabei ist, auch wenn zuerst nicht viel Neues gesagt wird. Bis kurz vor sieben ein italienischer Korrespondent nach dem Reisegesetz fragt. Und Schabowski, der mal ihr Chefredakteur war, zuständig für alle Jubelmeldungen und nun für jede Scheißnachricht, wühlt in seinen Zetteln und stottert, das Gremium habe heute beschlossen, »eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, äh, über Grenzübergangspunkte der DDR, äh, auszureisen«. Dann fragt jemand, ab wann das gelten soll, und Schabowski kratzt sich am Kopf, wühlt in seinen Unterlagen, setzt die Brille auf und sagt: »Also, Genossen, mir ist das hier also mitgeteilt worden.« Noch einmal fragt jemand nach, wann es denn nun in Kraft treten soll. »Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich«, antwortet Schabowksi, und alles Weitere geht im Tumult unter.
    »Das ist jetzt nicht wahr«, flüstert Bernhard und sieht seinen Kollegen entgeistert an. »Das hat der jetzt nicht gesagt.« Aber er hat es gesagt.Bernhard läuft die halbe Nacht durch die Stadt, immer gegen den Strom, als wollte es die Ironie der Geschichte, dass er ausgerechnet jetzt gegen den Strom läuft, wo alles den Bach runtergeht. Als er kurz vor Mitternacht von der Invalidenstraße in die Chausseestraße einbiegt, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße zu laufen und von da zum Alexanderplatz zu fahren, kommt er kaum durch, so viele Menschen sind unterwegs. Hin und wieder versucht jemand, ihn zu umarmen und mitzuziehen in die andere Richtung, und Bernhard denkt, dass er bald zuschlagen wird, wenn noch einer versucht, ihn umzudrehen.
    Kaum hat er die Wohnungstür hinter sich zugeknallt, klingelt das Telefon. Elisa, denkt Bernhard, das wird Elisa sein. Er schafft es zum Telefon, bevor das Klingeln endet, und hört ein Lachen am anderen Ende der Leitung.
    »Elisa«, ruft er, »bist du das?« Aber es ist Luise. Die ihn als Erstes fragt, ob denn Elisa nicht bei ihm sei. Noch bevor sie ihn begrüßt, sich für das viel zu lange Schweigen entschuldigt, irgendeinen Einstiegssatz versucht. »Wir haben uns getrennt«, sagt Bernhard. Luise schweigt. So lange, dass er glaubt, sie hätte schon aufgelegt. Aber dann fragt sie, ob sie kommen soll. Jetzt gleich. Und er sagt ja. Ich könnte auch Charlotte anrufen, denkt er kurz, die ist bestimmt genauso schlecht drauf wie ich. Aber er will, dass Luise kommt. »Wo bist du?«
    »In Berlin, gerade über die Bornholmer Brücke zurück aus dem Westen. Stehe in einer Telefonzelle, die sogar funktioniert. Ich werde eine Stunde brauchen, denke ich, bei den Massen hier. Bist du dann noch wach?«
    »Ich bleibe wach. Und bring Uwe mit, wenn er bei dir ist.«
    Aber Uwe ist nicht bei Luise. »Der wollte nicht gleich in den

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